DER TAG DES SCHRECKENS

Gedichte aus dem täglichen Leben
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heuberger
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DER TAG DES SCHRECKENS

Beitrag von heuberger »

DER TAG, AN DEM DIE ERNTE BUCHSTÄBLICH INS WASSER FIEL

In meiner Jugend war ich oft in den Ferien in meiner Heimat im Wiesental (So heißt der kleine Fluss der auf dem Feldberg entspringt und bei Basel in den Rhein mündet). Wir waren dort immer bei meiner Tante Annie und ihrem Sohn, Rémy. Außerdem lebte in demselben Dorf auch noch unsere Großmutter. Sie war schwerhörig und bereits ziemlich vergesslich. Allerdings war sie körperlich noch sehr rüstig. Und so erschien sie jeden Spätnachmittag bei meiner Tante und holte uns Jungen ab. Wir sollten mit ihr an der Wiese spazieren gehen. Bis zur „Legi“, der Stelle, wo man der Wiese Wasser entnehmen konnte für einen Kanal, der durchs Dorf floss, und der weiter flussabwärts wieder in die Wiese zurückgeleitet wurde. Dort unterhielten wir uns, auch mit viel Gestik und Mimik. Wir verstanden uns prächtig.
Jetzt waren aber wir beide, Rémy und ich, bereits als Jugendliche starke Raucher. Das Rauchen brachte uns die Erfahrung, selbst über uns zu bestimmen, eine besonders wichtige Erfahrung. Und so bedeutete das für uns immer Freiheit. Unsere Großmutter wusste das. Deshalb brachte sie für uns immer eine Schachtel Zigaretten unserer Lieblingsmarke mit, wenn sie uns zum obligaten Spaziergang abholte. Das war damals die Sorte „ERNTE 23“ der Firma Reemtsma.
So ging das zunächst jeden Tag. Wir spazierten mit der Großmutter bis zur „Legi“, wobei wir fleißig rauchten. Dann mussten wir die übrigen Zigaretten vor unseren Müttern verstecken. Die waren beide nicht mit Reichtümern gesegnet. Es blieb halt immer gerade soviel Geld, dass es für ein bescheidenes Leben reichte. Wir brauchten also ein geeignetes Versteck für die übrigen Zigaretten. Und ein solches fand sich auch bald. Das Haus, in dem meine Tante wohnte, hatte ein Plumpsklo, außerhalb der Wohnung. Es befand sich auf der anderen Seite des Laubengangs. Jede Wohnung verfügte über ein eigenes Klo. Neben der Schüssel stand eine große Wasserkanne aus Email, die zum Spülen diente. An der Wand war ein Schränkchen befestigt, mit einem Krug aus Porzellan darauf. Das war unser Zigarettenversteck. Hinter dem Krug würde niemand eine angebrochene Packung mit Zigaretten suchen. Unsere Mütter nötigten uns, bei der Großmutter darauf zu dringen, uns statt der Zigaretten doch lieber 2,- DM zu geben. Soviel kostete damals eine große Schachtel Zigaretten mit 20 Stück Inhalt. Das Geld sollten wir dann selbstverständlich ihnen geben. Heute, im Rückblick, erinnert mich das fatal an eine milde Form der Prostitution. Wir Jungen gingen sozusagen auf den Zigarettenstrich, unsere Mütter waren die Zuhälterinnen, und unsere Großmutter die Freierin.
Ein paar Tage machten wir dieses Spiel mit. Aber dann machte sich die Gier nach Nikotin bemerkbar. Und so beschlossen wir, ab und zu doch Zigaretten für uns zu kaufen. Für das Fehlen des Geldes würden wir uns dann schon eine passende Ausrede einfallen lassen.
Und so ließen wir frohen Herzens am Zigarettenautomaten eine große Schachtel „ERNTE 23“ heraus. Die Zigaretten schmeckten wunderbar.
Auf dem Rückweg begannen wir, uns eine passende Erklärung für das Fehlen des Geldes auszudenken. Wir kamen überein, dass das verdammte Zweimarkstück einfach unterwegs aus der Hosentasche fiel und somit verloren ging.
Daheim angekommen, eilte ich zuerst aufs Klo, holte die Zigarettenschachtel aus meiner Hosentasche und steckte sie in den Krug, der auf dem Wandschränkchen stand. Dort würde sie selbst aus Versehen garantiert nicht gefunden, dessen war ich mir sicher.
Unsere hartgesottenen Mütter erwiesen sich jedoch als viel hartnäckiger, als wir je befürchtet hatten. Gnadenlos schickten sie uns den ganzen Weg zurück, den wir mit der Gro0mutter gegangen waren am Nachmittag. Das hieß, die ganze Böschung der Wiese nach dem Geldstück abzusuchen, bis wir es gefunden hatten. Rasch machten wir uns auf den Weg, und vergaßen, die angebrochene Packung vom Klo mitzunehmen, auf dass wir was zu rauchen hätten. Also verbrachten wir noch freudlose anderthalb Stunden voll im Entzug an der Wiese,
Was für ein Leben, voll des Verzichts!
Schließlich kamen wir wieder unverrichteter Dinge zurück, als es bereits zu dämmern anfing. Wir setzten unsere unschuldigste Miene auf, nahmen heldenhaft schweigend die weiblichen Schimpftiraden unserer Mütter auf und freuten uns auf die wohlverdienten Zigaretten, die wir auf dem Klo zu rauchen gedachten.
Rémy verschwand als Erster zum Rauchen.
Nach kurzer Zeit machte er die Tür wieder auf, sah grimmig drein und herrschte mich an und pfurrte, was ich da für einen himmelschreienden Blödsinn gemacht habe!
Seine Mutter hatte im Krug Eierschalen in Wasser angesetzt, um einen guten Blumendünger herzustellen. Der brachte die Pflanzen prächtig zum Wachsen, Blühen und Fruchten. Vor allem aber stank er bestialisch nach faulen Eiern.
Davon hatte ich nichts gewusst. Ich hatte mit großem Eifer, unser Geheimversteck zu benützen, die kostbaren Zigaretten in den Krug geworfen, sie somit ins faule Eierwasser getaucht, wo sie schön weich und un(b)rauchbar wurden.
Und so wurde dieser ereignisreiche Tag für uns zum TAG DER TOTALEN PLEITE UND DES SCHRECKENS. Das Geheimversteck aber wahrte sein Geheimnis vor unseren Müttern.
Ich aber beschloss, von da an niemals mehr ERNTE 23 zu rauchen.
Erkannt, beschlossen und verkündet: Ich stieg um und rauchte von da an nur noch REVAL (ohne Filter)
Das war für mich die Rache des Kleinen Mannes.
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