Meine grosse Schwester

Gedichte über Stimmungen, Gedanken
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gerhard
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Meine grosse Schwester

Beitrag von gerhard »

Als die 13jährige Michaela das zweite Mal ins Kinderheim kam,da hatte sie schon einiges durchgemacht.
Ihre Mutter Petra hatte sich als ebenfalls noch 13jährige bei einer Schullandwoche unsterblich in den ihrer Meinung
nach hübschesten und tollsten Jungen der Klasse verliebt -aber als sie schwanger wurde, da wollte er mit ihr und "dem Balg"
nichts mehr zu tun haben!

So kam Michaela zur Welt,und weil auch Petra mit der Verantwortung für das Kind nicht zurechtkam,gab sie die kleine
"Michi" ihrer älteren Schwester. Es folgten 10 gute Jahre,aber dann verliebte sich Christa,die grosse Schwester von Petra,
in einen Mann,der sie heiraten und obendrein mit ihr "ein eigenes Kind"haben wollte -und schliesslich entschloss sich Christa,
durchaus schweren Herzens,das Mädchen ins Kinderheim zu geben.

Als "Michi" 12 war,riss sie aus dem Kinderheim aus,schloss sich ein paar jugendlichen punkern,mit denen sie sich
anfreundete,an und legte sich grüne Stachelhaare und mehrere piercings zu. Und fortan lebte sie auf der Strasse -zum Glück
sehr liebevoll von Sabine,einer gutmütigen älteren Obdachlosen,versorgt,die,auf welche Weise auch immer,alles mögliche
"herbeizaubern" konnte -warme Kleidung für "Mike",wie sie sich nun nannte,einen warmen,gefütterten Schlafsack, warme
Pelzstiefel.

Und dann "passierte" ihr etwas ganz ähnliches wie Petra:dass sie sich in einen Jungen verliebte,den sie für ihre
grosse Liebe hielt - und der,als sie schwanger wurde,nicht bereit war,die Verantwortung zu übernehmen.

Aber es gab ja Sabine und die punker,von denen einer Holz auftrieb und gut tischlern konnte: und so bekam Mike
ein "Zuhause"in einem Raum eines Abbruchhauses -mit einem Heizstrahler,der "sogar"funktionierte,mit einem
Tisch,einem wackeligen Stuhl,einem Regal,einem Eisenbett,einem löchrigen Spannleintuch,mehreren Polstern
und warmen Decken -und hier wartete Mike auf ihr Kind.

Und -sie verlor das Kind! Und Sabine, die kurz danach Mike als "heulendes Elend" in dem Raum vorgefunden hatte,
überzeugte sie davon,dass sie Hilfe brauchte - und konnte sie sogar dazu bringen,wieder ins Kinderheim zurückzukehren.

Es dauerte lange Zeit,den schweren Schock -sie hatte sich sehr auf das Kind gefreut! -auch nur halbwegs verarbeiten
zu können. Und eines Tages hörte sie von einem achtjährigen Jungen,der ins Kinderheim gekommen war und Michael
hiess:den hatten seine Mutter und seine Schwester(und wo war der Vater?) nicht "nur"grob vernachlässigt,sondern ihm oft viele heftige
Ohrfeigen gegeben -und das,seit er 5 gewesen war. Und nun lag er wie apathisch in seinem Bett,sprach kein Wort,aß
fast nichts und liess niemanden an sich heran.

Und nun übernahm Mike eine selbstgestellte Aufgabe:"Ich möchte meine grünen Haare und meine piercings loswerden
und wieder Michaela sein. Und ich möchte,bitte,dem Jungen helfen! Wie kann ich das tun?"

Die junge Betreuerin im Kinderheim,mit der Mike sprach,war beeindruckt:auch wenn das Mädchen immer noch sehr
unter dem Verlust litt,war ihr"Mutterinstinkt"erhalten geblieben.

Von nun an setzte sich Michaela regelmässig in das Zimmer des Jungen,immer auf einen Stuhl ein ordentliches
Stück von dem Bett entfernt -denn zunächst war es wichtig,das Vertrauen von Michael zu gewinnen.

Das erreichte sie,indem sie ihm über viele,viele Wochen hinweg alles mögliche erzählte und
aus Kinderbüchern vorlas -das Wichtige dabei war,ruhig dazusitzen und stets mit sehr ruhiger Stimme zu reden.

Bis zu dem wunderbaren Tag,an dem "Michi" aufstand,zu dem Mädchen,das sich auch gleich als"Michi"vorgestellt
hatte,hinging -und ihm ein Bussi gab.

Ab diesem Zeitpunkt erlebten beide eine für sie sehr gute Entwicklung -Michi,weil sie nun sowas wie einen
kleinen Bruder hatte,für den sie verantwortlich war,Michi,weil er das Mädchen immer mehr als liebevolle grosse
Schwester empfand.

Sie unternahmen auch sehr viel zusammen,gingen ins Kino,ins Kindertheater,zu einer Zirkusvorstellung,in den
Zoo. Aber fast wäre das ganze "ruiniert"worden,als ein freundliches Paar "nur" Michi,den Jungen,adoptieren
wollte.Der kleine Michi konnte nicht aufhören,zu weinen ,und die grosse Michi kauerte sich auf den Boden und weinte
ebenfalls verzweifelt -konnte es wirklich sein,dass die beiden womöglich auseinandergerissen wurden?



Die Heimleiterin unterhielt sich mit dem freundlichen Paar sehr ausführlich -vor allem darüber,was das so liebevolle
und entschlossene Mädchen alles für den Jungen getan hatte.

Und so übernahm das Paar nun die Obsorge für beide! Von nun an konnten sie zusammensein und zusammenbleiben.


Das änderte sich auch nicht,als Michi sich als 13jähriger in eine Schulkollegin verliebte und als Michi,nunmehr zu einer
hübschen jungen Frau geworden,einen netten jungen Mann in ihrem Alter
kennenlernte,der wirklich liebevoll und verlässlich und verantwortungsbewusst war.

"Ich hätte damals,als ich davon erfahren habe,wie schlimm du behandelt worden bist,nie gedacht,wie gut du
dich entwickeln würdest,Michi!" -"Ja,dank dir,Michi! Vielen,vielen Dank,grosse Schwester!"
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