LEIPZIGER ALLERLEI

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heuberger
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LEIPZIGER ALLERLEI

Beitrag von heuberger »

1. Würgen in Leipzig
Die Stadt Leipzig gilt von alters her als Heimstätte für Kunst und Kultur. Viele Wissenschaftler und Künstler haben in dieser Stadt gelebt und gewirkt. Insbesondere großen und auch kleineren Musikern bot die Stadt eine Wirkungsstätte, in der ihr Talent sich voll entfalten konnte. Stellvertretend seien hier genannt : Kuhnau, Bach, der wohl größte und einflussreichste Musiker, Schumann, Mendelssohn. Wagner, die größte Begabung, die je lebte, dem die Musik nicht mehr nur Ziel war, sondern der sie benutzte, um ein umfassenderes Ziel, das Gesamtkunstwerk, zu erreichen. Er beschloss sogar, hier zur Welt zu kommen. So weit, so gut. Und wenn dazu dann eine Stadt noch den größten Sackbahnhof Europas und das Völkerschlachtsdenkmal aufzuweisen hat, sowie durch ihre Kaffeekultur Ruhm erwarb, in deutschen Landen, so gelangt sie von selbst ins Visier aufmerksamer und lehrberieriger Pädagogen, die dauernd auf der Jagd sind nach neuer Beute, die sie ihren Schülern als Lernstoff präsentieren können, sehr zu deren Leidwesen. Und so bekommt man denn immer wieder in Schüleraufsätzen oder -diktaten zu lesen, wer alles in Leipzig gewirkt hat und wann.
Und hiermit taucht ein gewaltiges sprachliches Problem auf im Südwesten von Deutschland. In diesem Landstrich wohnen die Schwaben und die Alemannen. Im Grunde genommen sind beide ein und dasselbe Volk, was sie aber vehement abstreiten. Sie unterscheiden sich eigentlich nur durch den Klang ihrer Sprache und durch ihre Kultur. Der alemannische Teil pflegte früh Kontakt zu den Nachbarvölkern, während die Schwaben mehr auf sich selbst angewiesen blieben. Im 7./8. Jahrhundert schrieb Abt Strabo von der Reichenau im Bodensee: "Unsere Nachbarn heißen uns Alemannen, wir selber nennen uns aber Schwaben." Und somit muss nun, um beim Thema "Wirken in Leipzig" zu bleiben, der Umweg einer kleinen Erörterung über den psychischen Zustand schwäbischsprechender junger Menschen in Kauf genommen werden. Es gibt im Schwäbischen kein "ü", außer in einem einzigen Wort: "hü". Und das sagt man ausschließlich zu Zugtieren, wenn die sich in Bewegung setzen sollen. Ansonsten wird jedes Ü immer gnadenlos wie ein I ausgesprochen ("Beim Friehstick isst der Jirgen immer ieberraschend iebereifrig"). Der Schwabe glaubt, dass seine Sprache minderwertig sei, grobschlächtig, barbarisch, unfähig zum Ausdruck höherer Befindlichkeiten und Konversationen. Das Schwäbische, diese etwas zähe und lahme "Untersprache", taugt für die Landwirtschaft, etwa um Mist aufs Feld zu fahren. Während das vornehme Hochdeutsch, das so fließend und flüssig über die Zunge flutscht, erst die wahre Kultur offenbart. So wird es ihm von klein auf beigebracht, und so glaubt er diesen Blödsinn schließlich auch.
ABER, so kommt es eben auch, dass er seine Sprache abgöttisch liebt, so, wie Eltern ihr behindertes Kind.
(Versucht selber mal, jedes "i" in einem Text wie ein "ü" auszusprechen: Ühr werdet staunen, wü gewählt und vornehm plötzlüch der größte Unsünn klüngt!)
Und dies erklärt auch seine Vorgehensweise. In jedem "i", das er hört, vermutet er ein schwäbelnd verknechtetes "ü", dem süddeutscher Stammesneid die Vornehmheit entzogen hat. Und so beobachten wir manchmal bereits bei Erstklässlern das merkwürdige Spiel der Aufwertung einfacher Wörter, bis hin zur Unkenntlichkeit ihrer Bedeutung, dafür aber vor Vornehmheit strotzend bis in die völlige Lächerlichkeit. ("Brügütte, komm bütte zum Müttagstüsch"). Und so kommen wir auch unserer Sache näher. Was kann ein sehr junger Mensch schon anfangen mit dem Wort "wirken"? - einfach nichts, das muss ins Schwäbische herabgezogen worden sein. (Das i war mal ein besseres ü, so heißt es also "würken", aber das sagt auch nichts. Das nächste bekannte Wort ist "würgen". THAT´S IT!!! Und so lesen wir erstaunt in vielen Schulaufsätzen und Diktaten: "IN LEIPZIG HABEN VIELE KÜNSTLER UND MUSIKER GEWÜRGT." Jeder Schwabe liest dies mit einem Grinsen, denn ihm wird sofort klar, was hier gemeint ist, und wie die Verschiebung zustande kam. Nichtschwaben aber rätseln, was das heißen soll. Sie haben zwei Möglichkeiten, deren Wahrheitsgehalt sehr fragwürdig ist: 1. Es gibt keine Kriminalstatistik, die belegt, dass Künstler öfters und mehr zu Tätlichkeiten im Bereich des Halses ihrer Gegner neigen. 2. Auch die Leipziger Küche führt nicht öfter zu Würgereflexen, als die Speisen anderer Städte, Regionen und Länder. Dabei kommt die zweite Möglichkeit der eigentlichen Sache doch ziemlich nahe: Der künstlerische Schaffensprozess ist oft ein angestrengtes Herauswürgen unverdauter Dinge!
Und somit ist die Lösung ganz einfach und offenkundig:
IN LEIPZIG HABEN VIELE KÜNSTLER UND MUSIKER GEWIRKT.
Und so sagt der stolze Sachse mit Recht: Mein Leipzig lob ich mir!
Anfügen mochte ich noch ein Lob für Leipzig, die Leipziger und die Deutschen allgemein, von völlig unerwarteter Seite und von jemandem, der zu Recht ablehnende Gefühle hätte haben dürfen. Eine Bekannte, Signora Leda Caldaretti, gebürtige Italienerin, erzählte einmal die Geschichte ihres Vaters. Er war zur Zeit des Zweiten Weltkrieges von den italienischen Faschisten zur Unterstützung der Deutschen Wehrmacht im Russlandfeldzug nach Deutschland überstellt worden. Dort desertierte er und wurde in Leipzig von den Bewohnern eines Mietshauses abwechselnd im Keller und auf dem Dachboden versteckt, bis zum Ende des Krieges. Er schwärmte von Leipzig und den Deutschen in den höchsten Tönen und erwähnte selbst Besonderheiten der Leipziger Küche: Man äße dort die Kartoffeln süß zubereitet. Wie bitte ??????? Ich habe mehrere Bekannte über die Leipziger Küche ausgefragt, alle verneinten, ein derartiges Kartoffelgericht zu kennen. Und so vermute ich, dass es sich um Kartoffeln handelte, die in der Winterskälte angefroren waren, die Stärke wurde in Zucker umgewandelt, und die Kartoffeln waren süß und beinahe ungenießbar. Hier wäre ein Würgen in Leipzig verständlich und erlaubt. Und stattdessen gibt es Lobeshymnen. O verkehrte Welt!



2. Das rätselhafte Bachvideo
Beinahe wie bestellt ist ein Video auf Youtube aufgetaucht, das J.S.Bach bei einer Kantatenprobe auf der Empore einer Kirche zeigt. Um beim Bilde zu bleiben: Hier können wir J.S.Bach sozusagen über die Schulter beim "Würgen" zuschauen
https://www.youtube.com/watch?v=9ep9wON ... ep9wONkU2c (Herzlichen Dank an Frau Magdalena Kozena und ihr Team für dieses wunderbare Video!).
Hatte Bach Humor? Ich glaube, diese Frage mit "ja" beantworten zu können. 1. In seiner Kaffeekantate schildert er ausführlich die Fruchtlosigkeit väterlicher Erziehungsbemühungen. Da mag auch eigene Erfahrung des vielfachen Vaters mit eingeflossen sein. 2. Wer zwei Frauen hat und 20 Kinder, von denen nur fünf das Erwachsenenalter erreichen, der weiß, dass nur Humor zum Überleben beiträgt.
Und nun zum Video selbst. Dazu empfehle ich, es öfters anzuschauen, denn der Witz zeigt sich erst allmählich. Man entdeckt jedesmal neue Feinheiten. Schon Franz Schubert sagte einmal, das Geheimnis der Wirkung von Musik läge in der Wiederholung. Um dem Aufstoßen und Echauffement moralinsaurer Gemüter über die "Ohrfeige" gleich die Grundlage zu nehmen, sei erklärt: Es handelt sich hier nicht um eine gewöhnliche Ohrfeige, die der alte Bach seinem jungen Sänger gibt, sondern um einen Ritterschlag. Dergleichen tut die britische Königin regelmäßig. Allerdings benutzt sie dazu ein Schwert.
Und noch eine ganz wichtige Endbemerkung:
SELBST EINE OHRFEIGE VON JOHANN SEBASTIAN BACH ADELT, ZUMINDEST BIS IN DIE ZWANZIGSTE REINKARNATION!
Und hier noch was für die hartgesottenen Humorgegner:
Unter den Kommentaren zu diesem Video fiel mir dieser am meisten auf: Das Video sei ein fake. Es könne gar nicht echt sein. Denn zu Bachs Lebzeiten gab es noch keine Farbvideos.
Wer auch hier immer noch keine Miene verzieht, dem ist nicht zu helfen. Er wird sein Leben in freudlos zurechtweisender Rechtschaffenheit einherschlurfen, bis zur Bahre pilgernd, ohne je die lüsternen Verlockungen zwerchfellerschütterter Lachmuskeln auch nur verspürt zu haben. Ein Leben ohne Lachen ist zwar auch möglich - aber sinnlos!
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