Kurzgeschichten aus dem Leben.

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Folptetius
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Kurzgeschichten aus dem Leben.

Beitrag von Folptetius »

Geheimnis einer Ansichtskarte.
Es ist eine Geschichte nach wahren Begebenheiten, die in meinen frühen Lebensjahren beginnt.
Die Suche nach der Lösung des Geheimnisses der Ansichtskarte hat viele Jahrzehnte für sich in
Anspruch genommen.
Ich war zu der Zeit im Alter von sieben Jahren, hatte gerade in der Schule lesen und schreiben gelernt.
Die elterliche Wohnung war mit gutbürgerlichem Mobiliar ausgestattet, zudem auch ein altehrwürdiger
Schreibtisch zählte, der im Wohnzimmer einen exponierten Platz einnahm. Dieser Schreibtisch aus dunkel
fourniertem Holz übte immer einen besonderen Reiz auf mich aus.
Mitunter war es das aus schwarzem Marmor gefertigte Ensemble, bestehend aus überdimensionaler Halterung für das Tintenfass, die Ablage für den Federhalter, sowie ein Briefbeschwerer und der Tintenlöscher, um die frisch geschriebenen Wörter und Sätze auf dem Briefpapier nicht zu verwischen.
Es war schon etwas wagemutig, mich eines Tages an diesen Schreibtisch zu setzen, um den reich verzierten Schlüssel im Türschloss zu bewegen. Genau genommen war ich mir nicht im klaren darüber, ob es mir erlaubt war, einfach eine dieser Türen zu öffnen, denn selbst der Vater war eher selten an diesem Schreibtisch auszumachen.
Hinter dieser Tür befand sich in einem der Schubfächer eine Zigarrenkiste, die angefüllt war mit alten und neueren Familienfotos, die immer noch nicht ihren Platz in einem der vielen Fotoalben gefunden hatten. Es waren schon immer diese alten Fotos, die ich mir sehr gerne ansah.
Da gab es die abgelichteten Damen mit grossen Hüten und mitunter einen Tüllschleier, der zum Teil das Gesicht verdeckte, sowie es die damalige Mode diktierte.
Die Damenwelt trug Kleider und Röcke die bis zum Knöchel reichten und ein feines Schuhwerk nur erahnen liessen.
Die Herren der Schöpfung stützten ihren Kopf auf steife weisse Kragen, die mit schwarzen Fliegen zusammen gehalten wurden. Heute weiss ich, es müssen Grosseltern und Urgrosseltern gewesen sein, sowie deren Kinder.
An diesem Tag fiel mein besonderes Augenmerk auf eine Ansichtskarte, die recht tief auf dem Grund
der Zigarrenkiste vergraben war. Sie zeigte ein für mich recht luxuriöses Panorama, ein im Wasser gelegenes Gebäude, welches auf Stelzen im Wasser stand und mit einem breiten Steg zum Land hin verbunden war. Die Rückseite der Ansichtskarte war im Laufe der Zeit oder Jahre schon sehr vergilbt.
Die wenigen mit Tinte geschriebenen Wörter waren einfach nicht mehr
lesbar, waren vom Sonnenlicht verblichen. Die Briefmarke war vermutlich von einem Sammler als begehrtes Stück entfernt worden. Die verbliebenen restlichen Buchstaben des Poststempels ergaben auch keinen Hinweis auf den Ort, wo die Reise der Karte begonnen haben mag.
Dann entdeckte ich einen Schriftzug, der Auskunft darüber gab, was auf der Ansichtskarte abgebildet war.
Es war die Pier von Scheveningen in Holland, mit einem dort sehr bekannten und wohl auch luxuriösem Hotel.
Es ist jetzt erwähnenswert, dass ich zu dieser Zeit in der russisch besetzten Zone lebte.
In meinem Kopf schwirrten viele Gedanken durcheinander. Wer konnte an meine Familie, an meine Eltern oder an die Grosseltern diese Karte adressiert haben?
Diese Ansichtskarte konnte durchaus als Nachlass in den Besitz meiner Eltern gekommen sein.
War es ein wohlhabender Onkel, eine reiche Erbtante, die uns diese Ansichtskarte geschickt hatte?
Es müsste schon an ein Wunder grenzen, so dachte ich mir, denn die damaligen Verhältnisse liessen den Gedanken einfach nicht zu, dass ein Mitglied der Familie Urlaubsgrüsse aus der Ferne sendet.
Nachfragen bei meinen Eltern verliefen ergebnislos, denn für solch Dinge hatte man neben den täglichen Sorgen kein Gehör. So vergingen viele Jahre, mein Lebensumfeld hatte sich grundlegend verändert, denn aus Kindern werden Leute.
Jetzt im reifen Alter bin ich dem Geheimnis dieser Ansichtskarte näher gekommen.
Auch an mir ist die neue moderne Zeit nicht vorbei gegangen, der Computer begann das Leben zu begleiten.
Eines Tages dachte ich wieder mal an die Ansichtskarte und begann zu kombinieren. Ich recherchierte mit dem Familiennamen im Internet, und siehe da, es tauchten einige gleiche Namen auf. Das faszinierend daran war, die Spuren führten auch ins Ausland, nämlich nach Holland. Bei einem relativ seltenem Namen hatte ich grosse Hoffnung, das Geheimnis zu lösen.
Meine Nachforschungen wurden immer intensiever, sodass ich eines Tage ein Telefongespräch mit El Paso in Texas führen konnte. Diese Frau in El Paso hatte offenbar ihren Mädchennamen beibehalten. Ich erzählte ihr ausführlich meine Geschichte. Trotz sprachlicher Hindernisse konnten wir uns einigermassen gut verständigen, denn die Frau konnte Dank ihrer holländischen Herkunft auch etwas in deutsch mit mir reden.
Das Geheimnis lüftet sich allmählich, indem ich erfahre, dass der Vater dieser Frau die Ansichtskarte an meine Grosseltern geschrieben hat. Das Hotel/Kurhaus an der Pier in Scheveningen wurde von ihm und seinen Eltern bewirtschaftet.
Diese Familie ist in den Krisenjahren, die sich überall in Europa ausgebreitet hatten, von Holland nach USA ausgewandert, und es sollte sogar familiäre Bande geben, die allerdings recht weitläufig sein würden.
Der alte Herr ist in einem hohen Alter im Jahr 2000 verstorben und hat jeden Tag ein Glas Genever getrunken, ...erfuhr ich.
Ach,... noch etwas zum Schluss, der Gedanke an eine reiche Erbtante ist mir nicht mehr in den Sinn gekommen.
Die Ansichtskarte befindet sich heute in meinem Besitz,...in meinem Schreibtisch und ist nun kein Geheimnis mehr.
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