Geschichte vom Schwarzhandel der Nachkriegszeit

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Folptetius
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Geschichte vom Schwarzhandel der Nachkriegszeit

Beitrag von Folptetius »

Die Frau im grauen Mantel.
Es war wieder mal ein Tag, an dem ich mir die Zeit vertrieb, denn mein Schulbeginn hatte sich
um ein Jahr hinausgezögert, weil es bei der Prüfung zur Schulreife offenbar mit den Zahlen nicht geklappt hatte. Meiner Erinnerung nach schreibt man das Jahr 1947. Ich war oft damit beschäftigt, die vielen bunten Spielfiguren auf dem Halma Spielbrett in sternförmiger Anordnung aufzustellen, so auch an diesem Tag. Der weitere Sinn dieses Spiels war mir noch nicht geläufig.
So hatte ich wieder einmal den gesamten Küchentisch in der Wohnküche belegt. Eine Spielkonsole oder
Gameboy waren zu dieser Zeit noch nicht erfunden.
Wir wohnten noch in dem kleinen Dorf am Harz und es war immer recht still in der Umgebung, denn der
Betrieb auf dem Hof war schon seit Jahren eingestellt.
Es blieb nicht aus, dass man sofort hörte, wenn die kleine Eingangstür im grossen Hoftor geöffnet wurde.
So war es auch an diesem Tag. Ich sprang sogleich auf, ließ alles stehen und liegen und rannte zum Fenster, wo der gesamte Hof zu überblicken war.
Eine Frau im grauen Mantel, die eine recht grosse Tasche bei sich trug, näherte sich dem Hauseingang.
Ich vernahm deutlich, dass diese Frau zielstrebig die Holztreppe herauf kam, und an unserer Küchentür anklopfte.
Meine Mutter ging zur Tür, öffnete, und die Frau im grauen Mantel trat ein. Sie taxierte mit einem einzigen musternden Blick unsere Wohnküche. Sie stellte sich vor und man machte sich bekannt. Sie eröffnete mit
umständlichen Worten ihr Anliegen. Ich konnte daraus entnehmen, dass sie etwas zu verkaufen hatte. Meine Mutter bekundete ihr mit einer nickenden Kopfbewegung, dass wohl Interesse vorhanden war. Gleichzeitig wurde ein Stuhl zurecht gerückt, auf dem die Frau ihre schwere Tasche abstellen konnte. Das Erscheinen dieser Frau hatte etwas an sich, was ich nicht so richtig einordnen konnte, es war jedenfalls nicht alltäglich. Hin und wieder wurde auch mal sehr leise gesprochen.
Meine spielerische Beschäftigung wurde eilig mit wenigen Handgriffen vom Tisch entfernt.
Jetzt begann die Frau ihre Waren aus der Tasche auf dem Tisch auszubreiten. Was kam da alles zum Vorschein, ich sah diese Dinge zum ersten Mal. Alles war fremdartig anzusehen, man traute sich kaum mit der Hand danach zu greifen.
Dann fragte meine Mutter, haben sie auch Zwirn und Nähgarn? Eifrig tauchte die Hand der Frau geübt in die Tasche und beförderte das gewünschte ans Tageslicht. Für meine grössere Schwester sollte ein Kleid für ihre Konfirmation genäht werden, aber diese notwendigen Dinge waren einfach nicht erhältlich. Alles was schon auf dem Tisch ausgebreitet war, sah einfach herrlich aus. Es glänzte und glitzerte und überall war etwas buntes aufgedruckt.
Kaffee, Kakao und Schokolade kann ich auch anbieten, sagte die Frau, und hielt ihren Kopf dabei
etwas seitlich, den Blick auf mich gerichtet. Nein nein, erwiderte meine Mutter, das können wir uns nicht leisten.
Obwohl schon das nötige Geld vorhanden gewesen wäre, für diese Art von Handel hätte man das Vierfache und mehr hinlegen müssen. Der damalige Wechselkurs zur Deutschen Mark West war eins zu vier, und der Schwarzhandel, dessen Betreiber mussten ja auch noch einen Verdienst erwirtschaften. Diese Leute fuhren damals nach Westberlin, kauften dort möglichst preiswert ein, um dann die begehrten Sachen in der Zone abzusetzen.
Aus der grossen Tasche drang auch noch der Duft von geräuchertem Fisch heraus, aber solch eine Delikatesse wurde nach kurzem Anpreisen wieder vorsichtig zurückgelegt. Meine Mutter orderte schliesslich einige kleine Päckchen, die von allen Seiten begutachtet wurden.
Danach wurden mit einem kleinen Bleistift die Preise auf dem Rand einer Zeitung addiert und meine Mutter griff nachdenklich in ihrer Schürzentasche nach dem Geldbeutel. Offensichtlich war sie aber sehr froh über das Erworbene.
Sie schob Nähgarn, Zwirn, Sicherheitsnadeln, Reißzwecken, Druckknöpfe und Gummiband auf die Seite des Tisches.
Die Frau mit dem grauen Mantel hatte ihre Tasche inzwischen wieder sorgfältig eingeräumt. Sie war im Begriff zu gehen, als sie mich fragte, soll ich denn das nächste Mal eine Micky Maus mitbringen? Ich nickte natürlich eifrig bejahend mit dem Kopf, obwohl ich garnicht wusste, was eine Micky Maus war. Ich dachte an ein Spielzeug.
Man verabschiedete sich. Danach ging sie über den Hof und zur Tür hinaus. Sie kam nie wieder.
Eine Micky Maus, die bunt illustrierten Hefte mit den lustigen Sprechblasen lernte ich erst viele Jahre später kennen.
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