Ein Papagei lernt freiwillig.

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Folptetius
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Ein Papagei lernt freiwillig.

Beitrag von Folptetius »

Diese wahre Geschichte beginnt vor etwa dreissig Jahren, als ein
kleiner Graupapagei zu uns kam.
Timmy kam und siegte.
Wir hatten gerade seit einigen wenigen Wochen unser neues Anwesen bezogen.
Die Zimmer waren hergerichtet, man fühlte sich wohl. Es gab einen Anbau am
Haus, mit direktem Zugang vom Garten her, der ursprünglich als Wintergarten
dienen sollte. Eine grosse Schirmpalme hatte hier schon ihren festen Standplatz
eingenommen.
Dieser Raum wurde einfach zu wenig genutzt. Allenfalls saßen wir am Wochenende
dort, um gemütlich zu frühstücken. Das sollte sich aber bald ändern.
Zu dieser Zeit fuhr ich täglich mit der Bahn einige Kilometer zu meiner Arbeitsstelle
nach Hannover. Mitunter kam es vor, dass ich nach Dienstende einen kleinen
Stadtbummel machte. Es zog mich dabei immer wieder in ein Kaufhaus, wo es
auch eine recht grosse Zooabteilung gab.
Die Aquaristik interessierte mich nicht so sehr, aber die Ecke, wo ein heiteres
Vogelzwitschern zu hören war, dahin lenkte ich meine Schritte. Zurückgezogen in
einer Ecke der riesigen Voliere hinter Glas, sah ich einen kleinen Graupapagei sitzen.
Ich hatte den Eindruck, als würde das rege Treiben der übrigen Bewohner dieser
Voliere, dem grauen Vogel mit Rostbraunen Schwanzfedern garnichts ausmachen.
Ich fragte beim Verkauspersonal nach, warum dieser Papagei denn keine Signalroten
Schwanzfedern hat. Ich bekam zur Antwort, dass es sich um eine zoologische
Unterart der Graupapageien handeln würde.
Ich dachte bei mir,...aha, dann ist es wohl der Grund, dass der Vogel für meine
Begriffe sehr preiswert angeboten wurde. Viele Wochen und Monate später stand
für mich fest, dass dieser Vogel viel zu preiswert angeboten wurde. Insgeheim
stellte ich mir schon vor, das dieser Papagei in einem geräumigen Heimbiotop, einem
grossen Käfig, in der bis dahin wenig genutzten Veranda stehen könnte.
Weil ich überhaupt keine richtigen Kenntnisse darüber hatte, welche Pflege solch
einem Vogel zukommen muss, stand ich kurz darauf vor einem Regal in der
Buchabteilung.
Ich wählte eine Lektüre aus, welche mir all diese Fragen beantworten konnte.
Auf der Heimfahrt war ich bereits über viele Seiten hinweg in dieses Buch vertieft.
Somit hatte ich schon einen sehr grossen Überblick gewonnen, und wusste über viele
wichtige Details bescheid, in erster Linie die richtige Ernährung betreffend.
Zu hause angekommen, musste ich jetzt Überzeugungsarbeit an den Tag legen, zumal
es schon einen Vierbeiner im Haus gab, eine Schäferhündin, die ein schlimmer
Schicksalsweg in das Tierheim geführt hatte. Zum Glück hatte sie sehr bald wieder
volles Vertrauen und Zuneigung zu den Menschen entwickelt.
Es dauerte nicht lange und mein kleiner Vogel vom Kaufhaus war willkommen,...schliesslich
entfiel ja das Gassi gehen.
Gleich am nächsten Tag machte ich den Kauf am Telefon perfekt, um abends das
finanzielle erledigen zu können.
Vorher musste jedoch noch das gesamte Zubehör bereitgestellt sein, solange sollte
der Vogel noch im Kaufhaus verbleiben. Es waren nur zwei Tage.
Der geräumige Vogelkäfig war inzwischen angeliefert, wobei ich mich bei der
Innenausstattung sehr genau an die Vorgaben hielt. Die Sitzstangen waren
Naturholz von unserem Apfelbaum, der nun in fast regelmässigen Abständen zur
Erneuerung des Inventars, gestutzt wurde.
Der Standplatz war so gewählt, dass der Vogel im Rücken eine Wand hatte, aber
auch ein Blickfeld nach draussen auf die Strasse.
Es war Freitag Abend, ich kam mit dem Zug an und wurde am Bahnhof mit dem
Auto abgeholt, um schnell mit der lebenden Fracht im kleinen Transportbehälter
zu hause zu sein. Es war nicht zu vermeiden, dass immer wieder ein recht lautes
knurren aus dem Behälter zu hören war, trotz meines Bemühens, keine unnötigen
Erschütterungen herbeizuführen.
Nun war es soweit, der Vogel durfte seinen engen Raum verlassen, ...und das geschah
sogleich, aber mit sehr lautem Geschrei und ausgiebigem schütteln des Gefieders.
Zunächst klammerte er sich angstvoll am Gitter fest, aber allmählich näherte er sich
der oberen Sitzstange, um diese mit seinem Schnabel zu testen.
Wir standen in einem gebührenden Abstand, um nicht gleich wieder ein lautes Geschrei
heraufzubeschwören. Aus diesem Grund sahen wir lieber aus der Ferne zu, wie
unser Timmy, so hiess er nun, sein Mobiliar mit dem Schnabel bearbeitet, indem er
sämtliche Rinde von der Stange entfernte. Dies geschah in völliger Ruhe, und mit
grossem Eifer.
Mein schlaues Buch sagte mir, das jetzt die Phase der Eingewöhnung beginnt. Aber wie
lange diese Zeit dauert, darüber gab es keine Antwort. Wir durchlebten diese Zeit
jedoch mit viel Langmut, und wagten nicht daran zu denken, dass aus diesem
krummen Schnabel irgendwann einmal menschliche Laute zu hören sein könnten.
Bislang war nur trällerndes pfeifen zu hören, was sich hier und da melodisch anhörte.
Inzwischen durften wir uns aber schon dem Käfig nähern, denn es waren tägliche
Handgriffe notwendig. Es lagen zu jeder Zeit artgerechte Leckereien bereit, die besten
und teuersten Äpfel, Pinienkerne und Erdnüsse en gros.
Der Teelöffel hatte ausgedient, denn nun nahm unser Timmy schon etwas aus der
Hand,...was für ein grosser Erfolg.
Wir waren ständig dabei, zu sprechen, wenn jemand in die Nähe von Timmy ging.
Ich sagte immer die Worte,...na du Quatschkopf.
Eines Tages, als man geruhsam im angrenzenden Wohnzimmer saß, die Schiebetür zur
Verand war geöffnet, lief uns ein Schauer über den Rücken. Wir hörten sehr deutlich
und in meinem Tonfall das Wort... Quatschsch, mit einem lang gezogenen "sch". Verdutzt
schaute man sich an, und wir zeigten nur stumm mit dem Daumen in Richtung Veranda.
Das konnte nur der Vogel gewesen sein. War jetzt das Eis gebrochen?
In der Tat, wir erlebten von jetzt ständig eine neue Überraschung. An das Wort Quatsch
schloss sich in kürzester Zeit die weitere Silbe "Kopf" an. Wir hatten von nun an
einen Quatschkopfff.
Nach und nach zog uns der Vogel immer mehr in seinen Bann. Er hatte offenbar ein
grosses Talent etwas nachzuahmen.
So war sehr deutlich zu hören, wie der Knipser vom Lichtschalter betätigt wurde. Immer
wenn man gegen Abend zu diesem Schalter griff, machte Timmy schon das Geräusch.
Wenn wir am Mittagstisch saßen, war deutlich zu hören, wenn es einem mal besonders
gut geschmeckt hatte. Timmy schmatzte unaufhörlich. Reichten wir dem Vogel einen
Leckerbissen, dann sagten wir dabei,..."Timmy auch". So war es kein Wunder, dass
unsereins es als Aufforderung sah, wenn diese zwei Wörter während des Frühstücks
zu hören waren. Deshalb hielt ich immer ein Stück von meinem Frühstücksei zurück, aber
es durfte nur das Weisse sein, das gelbe vom Ei war nichts für ihn, das landete umgehend
im hohen Bogen im Sand.
Er plapperte nicht einfach aus langer Weile, nein, er hatte die Fähigkeit, situationsbedingt
Dinge von sich zu geben.
"Guttte Nacht Timmy schlaaf" war nur am Abend zu hören, wenn die Dunkelheit hereinbrach.
Am Tag hatten wir diese Worte ja niemals gesagt.
Das unglaublichste, wozu der Vogel fähig war, ...er rief unseren Hund im Sommer aus
dem Garten ins Haus, wenn dieser in der Nähe der Veranda war. Er hatte ja immer
gehört, wie ich den Hund gerufen hatte,...."Asta komm", und noch einen Pfiff hinzu fügte.
Wir waren nicht schlecht erstaunt, dass sich der Hund von einem Papagei täuschen liess.
Nur eines wollte unser Timmy nicht, man durfte ihm nicht an die Federn. Meine
wiederholten Versuche, an seinem Köpfchen nach Papageienart kraulen zu
wollen, das wurde mir schmerzhaft heimgezahlt. So schmückte ich meinen Finger
immer wieder mal, ohne Groll zu haben, mit einem Pflaster.
Timmy hatte seinen Siegeszug gemacht.
Timmy hatte zweifellos unsere gesamten Konversationen aufgeschnappt. Wenn wir
einmal Besuch im Haus hatten, und im Wohnzimmer gredet wurde, war es nicht
selten, dass plötzlich ein langgezogenes "jaaaa jaaaa" zu hören war. Unsere
Gäste brachen dann in grosses Gelächter aus.
Eines schönen Vormittags musste ich jedoch eine schlimme Beobachtung machen, die
mich fast lähmte. Der Vogel erbrach seine Nahrung aus dem Kropf und würgte und würgte.
In Panik geraten holte ich sofort einen kleinen Transportkäfig aus dem Keller, liess den
Vogel umsteigen, um auf dem schnellsten Weg zum Tierazt zu gelangen.
Die Ärztin rief uns gleich in den Behandlungsraum. Ich stellte den kleinen Käfig auf
den Tisch, wobei ich schon gefragt wurde, was dem Vogel denn fehlt. Ich erklärte meine
Beobachtung. Frau Doktor schaute auf den Vogel,...sagte dann beiläufig, dass der Vogel
aber garkeine Anzeichen von Unwohlsein zeigen würde. Sie setzte sich hinter ihren
Schreibtisch, stützte ihr Kinn auf die aufgestellten Unterarme und legte ein paar
Falten auf ihre Stirn. Nun erwartete ich eine schlimme Nachricht, aber nichts
dergleichen geschah.
Im Gegenteil, das Gesicht der Ärztin überzog sich mit einem lächeln. Der Papagei ist
nicht krank, sagte sie nachdrücklich.
Sie erklärte mir den Zusammenhang meiner Beobachtung. Der Vogel wollte mir lediglich
seine Sympathie bekunden, indem er mir vorbereitete Nahrung reichen wollte.
Ich war offenbar dazu auserkoren, ein Verhältnis mit ihm einzugehen. Aber,....verstehen
konnte ich es nicht, denn ich habe schliesslich keine Federn und auch keinen
krummen Schnabel.
Es kam das Jahr 2010. Unser Timmy wurde plötzlich von einer offenbar schlimmen
Krankheit heimgesucht. Schnellstens eingeleitete Laboruntersuchungen verliefen ergebnislos.
Teure Notfallmedizin konnten wir ihm zuführen, aber es half nicht mehr.
Am frühen Morgen ging ich mit schlimmer Erwartung in die Veranda, und konnte
meinen Papagei nur noch leblos aus dem Käfig nehmen.
Das erste mal nach Jahrzehnten durfte ich ihn berühren,....aber er war so kalt.
Im Garten gibt es eine Stelle, da steht im Sommer eine Solitärpflanze auf einer
roten Sandsteinplatte,...Timmys Ruhestätte.
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