KINDERMUND I

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heuberger
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KINDERMUND I

Beitrag von heuberger »

KINDERMUND I

Wir freuen uns oft über Geschichten, die Kinder erzählen, wundern uns aber gleichzeitig, wie sie darauf kommen. Dabei ist der ganze Vorgang höchst einfach:
Kinder leben in ihrer eigenen Erfahrungswelt.
Dementsprechend haben sie einen völlig anderen Erwartungshorizont als Erwachsene.
Wörter, die nicht in diesen Erfahrungshorizont passen, werden gegen ähnlich klingende Wörter aus ihrer Erfahrung ausgetauscht.
Natürlich bemerken auch Kinder die neu entstandene, oft alberne Bedeutung.
Da aber Aussagen der Erwachsenen als Wahrheit hingenommen werden, gibt es selten Protest.
1. Einsegnung
Am besten wird das klar an einem bekannten Beispiel:
Aufgeregt kommt der kleine Junge von der Schule nach Hause:
„Papa, Mama, die Lehrerin hat gesagt, dass wir morgen alle besonders frisch gewaschen, schön frisiert und angezogen in die Schule kommen sollen, denn da kommt der Erdbeerschorsch, der will uns alle filmen.°
Die Eltern schauen sich erstaunt an und überlegen, was damit wohl gemeint sein könnte. Auch auf ihr Nachfragen erfolgte die Antwort, der Erdbeerschorsch käme und wolle die Kinder filmen.
Schließlich soll ein Anruf bei der Lehrerin die Sache klären.
Deren Antwort:“ Ich sagte den Kindern, morgen kommt der Erzbischof, der will die Kinder alle firmen.“
Was kann ein Kind schon anfangen mit den Begriffen „Erzbischof“ und „firmen“?

2. Weihnachtslieder:
Häufig geschieht dies in den Bereichen Kirche und Religion:
In der Schule sollen die Kinder ein Krippenbild malen. Ein Mädchen malt mit besonderer Hingabe. Auf ihrem Bild sind zu sehen: Das Jesuskind, dazu Maria und Josef, die Engel und Hirten, Ochs und Esel, viele Schafe, und etwas abseits, halb hinter einem Baum versteckt, eine Gestalt, die breit über das ganze Gesicht lacht und grinst. Auf die Frage des Lehrers, wer denn das sei, kommt die Antwort: „Das ist der Owi, im Lied heißt es doch : Stille Nacht, Heilige Nacht, Gottes Sohn, Owi lacht…“

3. Nochmals Weihnachtslieder:
Im Rotlichtmilieu?
Eine Kollegin erzählte, dass in ihrer Erinnerung Weihnachten immer in ein gleichmäßiges rotes Licht getaucht war. Denn gemäß dem Lied „Ihr Kinderlein kommet“ hieß es:
„Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh, Maria und Josef betrachten es froh. Die rötlichen Hirten knie´n betend davor. Hoch droben singt jubelnd der Engelein Chor.“
Was soll das schon bedeuten: Die redlichen Hirten?

4. Mit beinahe schon fünf Jahren musste ich in den Kindergarten. Meine Lust dazu hielt sich in Grenzen. Damit ich den ersten Trennungsschmerz leichter überwände, hatte die Kinderschwester meine Eltern gebeten, die mich beide gebracht hatten, genau in dem Moment zu gehen, wenn die anderen Kinder mich ablenkten. Dies hat sehr gut geklappt.
Aber dann lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben, wie schrecklich grau und öde solche „Zwangsveranstaltungen“ sein können. Es mussten stundenlang bunte Holzperlen auf Fäden aufgezogen werden, vermutlich zur Schulung der Feinmotorik.
Hätten wenigstens Muster erfunden werden müssen, so wäre daraus eine begeisternde, kurzweilige Aufgabe entstanden. Aber so blieb es bei dem geistlosen, bzw. –tötenden Aufziehen der Perlen. O grauenhafte Langeweile!
Dann mussten die mitgebrachten Vesperbrote in einer vorgegebenen Zeit verzehrt werden; zum Glück wenigstens mussten nicht alle Kinder im gleichen Rhythmus kauen.
Und dann auch noch andauernd beten. Es wurden Kindergebete in Reimform vorgesprochen, die wir Kinder dann nachzusprechen hatten, zumeist ohne Sinn und Verstand, allein nach dem musikalischen Rhythmus und Klang. Heute verstehe ich etwas besser, was Jesus meint mit seinem Hinweis, wir sollen nicht plappern wie die Heiden.
Eines dieser Kindergebete ist mir noch heute in lebhafter Erinnerung :

„HEILIGER SCHUTZENGEL MEIN,
LASS MICH DIR EMPFOHLEN SEIN.
In allen Nöten steh mir bei
und halte mich von Sünden frei.

An diesem Tag, ich bitte Dich,
beschütz, regier und leite mich.
Hilf mir leben gut und fromm,
dass ich zu Dir in den Himmel komm.

Beschütze heut, ich bitte dich,
du, heiliger Engel Gottes mich!
Du hast mich lieb, ich liebe dich,
so soll es bleiben ewiglich.

In dieser Nacht, ich bitte Dich,
beschütze und bewahre mich. Amen

Wie bitte?
Lass mich dir empfohlen sein?
Was ist denn das?
Hab da wohl was falsch verstanden.
Also musste ich mir einen vernünftigen Text daraus basteln, einen, den ich verstand, meinen Text!

Die restlichen Worte gingen sowieso unter im Meer des Unverständnisses.
Wie kann man einem Fünfjährigen einen derartigen Text zumuten?
Oder war ich allein ein völlig unbegabtes, unintelligentes Kind, zu dumm, um solch einen frommen Text zu begreifen?
Als ich am späten Nachmittag nach Hause kam, verkündete ich vollmundig, niemals mehr in den Kindergarten zu gehen. Auf die erstaunte Frage nach dem Warum, legte ich los:
HEILIGER SCHUTZENGEL MEIN,
LASS DOCH IHRE PFOTEN SEIN.
Was für schreckliche Schutzengel, die ihren Schutzbefohlenen eins auf die „Pfoten“ (Finger) schlugen, bloß weil die nicht spurten?

Ich hatte keine Ahnung, warum die Erwachsenen alle so laut lachten. Aber am nächsten Morgen zwang mich niemand mehr, den Kindergarten zu besuchen.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich erfolgreich Widerstand geleistet.
Was für eine Erfahrung!

Heute aber dämmert mir die Erkenntnis, dass selbst aus diesem Missverständnis ein Gewinn gezogen werden kann, und dass selbst noch das leergedroschenste Stroh sich doch zu Gold verspinnen lässt, wie uns bereits Rumpelstilzchen zeigt.

HEILIGER SCHUTZENGEL MEIN,
LASS DOCH IHRE PFOTEN SEIN.
Gibt es Schutzengel auf vier Pfoten? Ich erinnere mich, dass ich mich eines Abends mit starken Magenschmerzen ins Bett legte. Da kamen zwei meiner Katzen zu mir, setzten sich rechts und links neben meinen Kopf, und begannen, mir intensiv die Haare abzulecken, stundenlang, immer wieder. Dann waren die Schmerzen vergangen, und ich konnte einschlafen.
Am nächsten Morgen war der Speichel, den die Katzen in meine Haare „hineingeleckt“ hatten, getrocknet. Ich hatte eine sperrige und harte „Irokesenfrisur“.

Gibt es Schutzengel für Wesen auf vier Pfoten? Insbesondere auch für Nutztiere?
Die bräuchten sie doch am nötigsten, bei der Art, wie wir Menschen mit ihnen umgehen!
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