KINDERMUND II

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heuberger
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KINDERMUND II

Beitrag von heuberger »

Eine weitere beliebte Kategorie kindlicher Sprachakrobatik ist die Abteilung „Papa hat gesagt“. Hier werden gerne Kindern Aussagen in den Mund gelegt, die Kritik an menschlichen Verhaltensweisen, bzw. an politischen Systemen oder Strömungen vortragen sollen.

Die Tante ist zu Besuch gekommen. Sie will für eine Woche bleiben.
Am späten Abend des ersten Tages, die Mitbringsel sind verteilt, die Neuigkeiten ausgetauscht, und es wird Zeit, sich zur Nachtruhe vorzubereiten.
Die Tante will im Gästezimmer gerade zu Bett gehen, da hört sie vor der Zimmertür ein merkwürdiges, verdächtiges Geräusch. Sie rafft all ihren Mut zusammen, schleicht geräuschlos zur Türe und öffnet diese dann schnell. Da sieht sie Fritz, ihren sechs Jahre alten, kleinen Neffen, der seine Kinderdecke auf ihre Türschwelle gelegt hat. Jetzt hat er auch noch sein Kopfkissen gebracht und will sich, den Teddybären im Arm, gerade zur Ruhe betten.
Erstaunt fragt die Tante: „Ja Fritzchen, sag bloß, warum schläfst Du denn nicht in Deinem schönen, weichen und warmen Kinderbettchen, sondern hier, vor der Tür, auf dem harten Fußboden?“
„Ich will Dich bewachen und beschützen, liebe Tante, damit Dir nichts Böses geschieht.“
„Nanu, was sollte mir denn bei Euch Übles zustoßen können?“
„Als Du geschrieben hast, dass Du zu uns auf Besuch kommst, da hat Papa gesagt, Du könntest uns gestohlen werden, liebe Tante. Drum muss ich jetzt auf Dich aufpassen.“

Und wieder geht es um einen Besuch.
Diesmal sind die Eltern , zusammen mit ihrer kleinen Tochter Melanie, die sich selbst, mit ihren 4 Jahren, nur „Mellie“ nennt, für ein paar Tage bei der Familie des Bruders des Vaters zu Gast.
Der Onkel spielt mit der Kleinen. Er lässt sich auf alle Viere herunter, kläfft und bellt wie ein Hund, schnappt ihre Puppe mit den Zähnen, trägt sie knurrend in eine andere Ecke des Zimmers, legt sie dort ab, beschnüffelt sie, nimmt sie wieder auf, trägt sie zurück, legt sie vor den Füßen der Kleinen ab, bellt kurz, macht Männchen, und lässt hechelnd die Zunge heraushängen.
Das Kind patscht vor Entzücken mit seinen Händchen und stößt spitze Schreie aus. Da sagt der Vater: „ Nicht wahr, Melli, der Onkel kann ja bellen wie ein richtiger Hund?“
Da holt die Kleine aus zum größten Kompliment, das sie sich vorstellen kann: „Onkel Richard, Du bist ja ein richtiger Hund!“
Jetzt sieht sich aber die Mutter zum Eingreifen genötigt, denn, schließlich, Erziehung muss sein! Nicht, dass sich ihre Tochter eine falsche, vulgäre und unkorrekte Ausdrucksweise angewöhnt, unter der sie ein Leben lang dann zu leiden habe. Dem kann man nicht früh genug wehren.
„Aber, Melanie“, sagt sie tadelnd, „man sagt doch nicht zum Onkel, er sei ein richtiger Hund, das gehört sich nicht, das ist nicht richtig, gehe hin und entschuldige Dich!“
Der Kleinen ist das jetzt furchtbar peinlich, sie ist den Tränen nah, schluckt, und sagt dann zum Onkel: „Nein, lieber Onkel Richard, Du bist kein richtiger Hund, sowas darf man nicht sagen.“
Dann, nach einigem Nachdenken, kommt ihr die erlösende Idee, und sie verkündet strahlend: „Du bist ein falscher Hund!“

Es geht aber auch politisch:
In der Zeit der „Dritten Reiches“, bis zum Beginn des Krieges, erzählte man sich diese Geschichte (später wurde es dann zu gefährlich, sich derlei Dinge zu erzählen):
Auf einer Propagandaveranstaltung der N.S.D.A.P. (Nazipartei) tritt als Höhepunkt Hitler auf und „bellt“ eine flammende Rede.
Als diese beendet ist, dürfen stolze Mütter ihm ihre Kinder darreichen, denen er denn auch ungeschickt die Wange tätschelt. Viele Kinder geben ihm auch kleine Blumensträußchen, die er entgegennimmt und an seine ebenfalls uniformierten Begleiter weiterreicht, die sie in Verwahrung nehmen.
Da kommt ein kleines Mädchen und überreicht ihm ein Büschel Gras.
"Was soll ich denn damit?“, fragt Hitler leicht erstaunt und etwas gereizt.
„Essen,“ sagt das Mädchen, „Papa hat gesagt, erst, wenn der Führer ins Gras beißt, wird es den Menschen besser gehen.“

Aber auch die Gegenseite kriegt ihr Fett ab:
Nach dem Krieg, in Ostberlin, zur Zeit Ulbrichts.
An dem Gebäude, in dem das Politbüro der SED tagt, versucht ein kleiner Junge immer wieder, auf das Gesims eines der Fenster zu klettern. Und immer wieder rutscht er ab.
Da sieht er einen „Volkspolizisten“ in der Nähe, zu dem läuft er hin, zieht ihn an der Hand und bittet ihn, ihn hochzuheben, damit er zum Fenster hineinschauen könne.
Der Vopo fragt erstaunt: „Ja, wozu denn dieses?“
Da gibt ihm der Junge zur Antwort: „ Mein Papa hat gesagt, da drinnen sitzen lauter Weihnachtsmänner. Die will ich jetzt sehen.“
:)
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