KINDERMUND III

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heuberger
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KINDERMUND III

Beitrag von heuberger »

Eine weitere wichtige Antriebskraft für sprachliche Ausdrucksblüten bei Kindern ist der kindliche Wettbewerb. Während Eltern, insbesondere Mütter, darüber eifern, wer die intelligentesten, oder doch zumindest am weitesten entwickelten Kinder hat, treten Kinder darüber in Wettbewerb, wer etwa im schönsten Haus wohnt, das beste Auto besitzt, in den Ferien ins Ausland fliegt … Hat sich die kindliche Phantasie im Wettstreit genügend erhitzt, so geht es nur noch darum, den Gegner zu übertrumpfen.
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Der Fernsehapparat
Ab Mitte der Fünfziger Jahre im vergangenen Jahrhundert kamen die Fernsehgeräte auf. Die Technik war so weit fortgeschritten, dass Die Apparate nicht mehr so unförmig groß waren, dass sie ein ganzes Zimmer füllten. Sie passten jetzt auf ein Schränkchen, falls dieses weit genug Abstand zur Wand hatte. Denn die Bildröhren waren auch damals immer noch sehr groß.
Zuerst konnte man sie in den Schaufenstern der Radio- und Elektrogeschäfte sehen. Dort standen sie zu Reklamezwecken und liefen, wenn eine der seltenen Sendungen kam. Später dann standen auch in einigen Gasthäusern solche Geräte. Die liefen dann vor allem, wenn ein Fußballspiel übertragen wurde.
Noch später leisteten sich dann auch etwas „betuchtere“ Privatleute so einen Apparat. Und dann saßen sämtliche Kinder der Nachbarschaft den ganzen Nachmittag vor der „Glotze“ und sahen fern. In der Schule im Freundeskreis, gewannen die Kinder enorm an Ansehen, in deren Elternhaus ein Fernseher stand. Während diejenigen ohne sich „weinend aus diesem Bund stehlen“ mussten. Schnell bildete sich eine Art „Fernsehhierarchie“ heraus. Wer hatte den größten, teuersten Fernseher, welche Marke? Telefunken, Nord-Mende, Loewe-Opta, Saba, Phillips, Blaupunkt, Grundig. Das waren nur einige der vielen verschiedenen Marken. Sie halfen, das Renommé der Kinder beträchtlich anzuheben.
Und so erzählt Richard Stöckle, mein ehemaliger Chef – Gott hab ihn selig - in einem seiner schwäbischen Gedichte auf unnachahmliche Art, wie ein kleiner Junge jeden Tag seine Eltern nervt, sich doch endlich auch ein Fernsehgerät zuzulegen, damit er auch wieder etwas gälte bei seinen Kameraden. Die Eltern, die beileibe nicht gerade reich zu nennen sind, erfüllen schließlich ihrem Sohn den Herzenswunsch. Und so geht er freudestrahlend am nächsten Morgen in die Schule, und verkündet den Kindern, dass seine Familie jetzt auch einen Fernseher habe, einen besonders teuren. Und dann holt er triumphierend zum ultimativen Rundumschlag aus, dem hat kein anderes Kind etwas entgegenzusetzen: „Mir zahlet it bloß oimol, mir zahlet sogar zwanzgmol dra!“ (= Wir zahlen nicht nur einmal, wir zahlen sogar zwanzigmal daran!).
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Die Taube auf dem Dach – Des Hauses Zierde
Peter, unser Nachbarsjunge, saß mit seinen Freunden, Jochen und Edgar, im Garten. Das lebhafte Gespräch ging darum, wer im schönsten Haus wohnte. Zunächst wurde die Größe verglichen, aber das war absolut uninteressant, dann ging es um die Höhe des Hauses, die Farbe des Anstrichs, dann um die Form der Dachziegel, Anzahl der Kamine, Stockwerke, u.s.w. Selbst die Einlassung: „Wir haben sogar einen Blitzableiter auf dem Dach, dort sammeln sich jedes Jahr im Herbst die Vögel auf dem Draht, der über das ganze Dach führt, bevor sie in den Süden fliegen.“ rief nur ein müdes Gähnen hervor.
Da meinte Jochen: „Wir haben eine große Radioantenne auf dem Dach, die sieht man schon von weitem.“
Peter (der mit dem höchsten Haus) sagte daraufhin: „Wir haben sogar ein Männchen auf dem Kamin, das dreht sich mit dem Wind.“ Er meinte eine drehbare Schornsteinabdeckung in Form einer Windhaube.
Jetzt mischte sich noch Edgar ins Gespräch. Er war der älteste und größte unter den dreien. Seine Familie war erst vor einem Jahr in ihr neuerbautes Haus in der Nachbarschaft eingezogen. Edgar meinte: „DAS IST NOCH GAR NICHTS, WIR HABEN SOGAR EINE HYPOTHEK AUF DEM HAUS, UND ZWAR EINE GANZ GROSSE!“
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Die edelste Automarke
Die geradezu abenteuerlichste Äußerung habe ich aber einmal von einem Mädchen gehört, die muss damals so um die neun Jahre alt gewesen sein. Es war so aberwitzig, dass die Geschichte bald die Runde im Dorf machte, sogar auch unter den Erwachsenen.
Es war damals in den frühen Fünfziger Jahren auf den Dörfern so üblich, das die Kinder einer Straße oder eines ganzen Viertels zusammen spielten. Verstecken, Fangen und dergleichen Spiele waren angesagt. Dabei versteckte man sich auch gerne hinter den paar Autos, die in der Straße abgestellt waren. Zumeist waren dies noch alte Autos aus der Zeit vor dem Krieg, oder ein paar neuere, hier vor allem Volkswagen, der Käfer. Die meisten Erwachsenen träumten von einem eigenen Auto. Und dies bekamen die Kinder zuhause natürlich mit.
Und so erzählte Annemarie, ihre Eltern hätten beschlossen, auch ein Auto zu kaufen. Aber ein ganz besonderes, nichts so gewöhnliches wie es die anderen Leute besäßen:
„Mir kaufet koin so an billiga VW, mir kaufet äbbes Aschdändigs, so ´n HerzJeses!“ (= Wir kaufen nicht so einen billigen VW, wir kaufen etwas Anständiges, so einen Herz Jeses = Herz Jesu), verkündete sie im Brustton der Überzeugung. Sie meinte einen „Mercedes“.
Man war im katholischen Oberschwaben. Manche Leute waren halt furchtbar fromm.

:)
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