Schwarzer Tee

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NoaCenda
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Schwarzer Tee

Beitrag von NoaCenda »

Meine Version von juergens "tee-ologie" von 2011. http://www.schreibpodium.de/viewtopic.php?f=31&t=993

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Schwarzer Tee


Einmal mehr aufwachen. Mit zitterndem Körper, dem Gefühl, als verzehre sich der Magen von innen, Psychische und Körperliche Erschöpfung, weil nur eines anzukratzen nicht reicht. Neben mir die Reste der Nacht, aus deren quälenden Klängen mir nur der Schlaf eine Fluchtmöglichkeit bietet.
Ich nehme einen Schluck. Der Geschmack ist wie er jeher gewesen ist, wie viele Stunden ich auch zähle, er begleitet mich dabei. Wobei es scheint als sei mir der Zucker ausgegangen, aber es ist für mich wohl kaum wegen des Geschmacks ein Suchtmittel. Es ist kein Getränk mehr, eher eine Medizin, deren magische Wirkung mich Zweifelslos abhängig machte.

Ich fühle wie ich lebe, fühle, dass ich wach bin, dass ich sehe, schmecke, sitze, dann aufstehe... Nein Pause! Das war wohl zu viel für uns. Jetzt fühle ich wie ich schwarz sehe. Wir sind so erschöpft vom Kampf, sind genau so müde, genau so durcheinander.
Er sagt es mir immer wieder, gegen diesen Gedanken kann ich mich kaum wehren. HUNGER! Nein! ... Ich nehme noch einen Schluck und noch einen und den Rest. Den 2 Liter Krug noch rechtzeitig auf dem Schreibtisch abgestellt, dann sinke ich zu Boden. Wieder wird mir schwarz vor Augen, aber egal, ich steh d'rauf. Also krieche ich zum Bett um mir aufzuhelfen und ziehe mich an der Bettkante hoch. Zitternde Beine. HUNGER!
Verdammt ich brauch Nachschub.

Hoffnungsvoll beim Versuch nichts zu zerbrechen hebe ich meine Arme und fahre behutsam mit einer Hand in Richtung Griff, mit der Anderen probiere ich dagegen zu halten. Frage mich, ob ich dem Gewicht noch gewachsen bin. Ein Erfolg am Morgen, die Kanne liegt unversehrt in meinen Armen und wartet auf die nächste Ladung.
HUNGER! Ein Gefühl in der Magengegend, welches mich Schmerz und Leere empfinden lässt, wobei mich seine Beschwerden mittlerweile einfach nur noch nerven. - Der wird sich nie entscheiden, ob er sich nun schmerzhaft zusammenzieht oder vor Medizin platzt. - Weil es bereit selbstverständlich geworden ist und es auch nichts mehr bedeutet brauche ich es auch nicht. Genau so selbstverständlich hole ich nun mit meinem Fuß aus, um mit voller Wucht gegen die Eckkante des Bettes zu treten. Ein simpler Reflex, der sich über die Wochen entwickelt. So ein Tritt gegen die Bettkante ist doch 'was schönes, praktisch. Man braucht weder Messer noch Radioantenne, die ich mir einmal spontan zu einem Schlagstock umfunktionierte, allerdings auch ziemlich schnell zerbrochen habe, aber so ein Tritt der tut's auch nach Wochen noch.

Schmerz ist doch was schönes. HUNGER! Ja, genau deshalb. Ob mich nun der eine oder andere Trieb kontrolliert, ist mir im Grunde egal, solange ich mich meinem Favorit unter allen hingebe, dem Selbstzerstörungstrieb. Hunger ist fantastisch um deine Erhaltung zu befördern, aber gegen mein Wesen, mich dem hinzugeben wäre schlichtweg Verrat. Wenn du deinen Kopf nicht mehr steuern kannst, dann musst du dich anderweitig kontrollieren. Es ist ein ewiger Krieg, mit deinem Willen gegen dich selbst. Dich selbst zu erkennen und zu wissen, wie du dich aus deiner Lage, dir ausgeliefert zu sein, befreien kannst. Im Hunger steckt Satan selbst, wir sind alle einen Packt mit dem Teufel eingegangen, ein Leben für die Seele, den Verstand und Willen, aber nicht mit mir! Ich weiß mich vom Bösen fern zu halten, d'rum füge ich dem Feind Schmerzen zu wo ich nur kann, im Glauben gefangen, seinen Willen langsam brechen zu können.

Doch die Schmerzen packen mich, ich lenke mich also mit ein paar Schlägen, Ellbogenknochen gegen die Wand, ab. Enttäuschter Blick, wegen seines unversehrten Körpers. HUNGER! Jetzt, jetzt hole ich Nachschub. Den Entschluss gepackt und um sicher zu gehen, dass mich kein Teufel dazu trieb, noch ein paar mal mit dem Kopf gegen die Wand. Jap, fühlt sich wie meiner an. Also die Treppen herunter stolpern, weil mich die Kraftlosigkeit anheizt.
In der Küche angelangt; ich wasch' den Krug nicht - Zeitverschwendung. Dafür gleich beide Wasserkocher an geschmissen, eben darum. Eine Box mit getrockneten Teeblättern aus dem Schrank geholt und einen tiefen Griff gewagt. Alles 'rein in die Kanne.
Jetzt heißt es abwarten.

Nun wird sie mir zum Verhängnis, meine Wahrnehmung. Meine Wahrnehmung konzentriert sich nur auf jetzt... HUNGER! Genau, auch darauf... vor allem darauf. Jetzt, da ich im Eifer meiner Sucht nur Augen für die Zubereitung hatte, bemerke ich erst jetzt, beim zurückfallend auf einem Hocker landen, dass ich in der Küche bin, ich bin schutzlos in des Feindes Lager gerannt. Die Zeit zerfrisst mich. Ich fühle jede Sekunde, fühle wie ich sitze, dass ich gerade noch stand, weil die Empfindung nachhallt. Ich fühle wie ich meine Augen für 2 Sekunden schließe, ich meine Augen wieder öffne und meinen Blick fokussiere, fühle meinen Atem und Herzschlag schon seit Wochen, HUNGER! Ich höre meine Gedanken hallen, höre jedes Wort in meinem Kopf, noch nach dem Wort darauf. Fast eine Minute geschafft, noch 29, dann kann ich mir meine Ration hinter kippen, ohne mir fatale Verbrennungen zu zu ziehen. Die Klänge meiner Organe übertönen zum Glück das Ticken der Uhr,
sie würde mich noch wahnsinnig machen.

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Na, wer kennt es? : D
Das wollte ich sowieso mal schreiben, da ich noch nirgends eine Geschichte in dieser Art über Magersucht, bzw. Hunger finden konnte. Es ist natürlich nicht alles wahr, ich mische z.B. auch ganz gerne ein paar Jasmintee Blätter bei.
Danke für's lesen.
Zuletzt geändert von NoaCenda am Freitag 23. Oktober 2015, 00:05, insgesamt 1-mal geändert.
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heuberger
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Re: Schwarzer Tee

Beitrag von heuberger »

Zutiefst beeindruckender Text, wirkt verstörend (ver-störend), d.h., stört unser wohlgeordnetes Bild der Welt und unser bequemes Wohlbefinden ganz erheblich. Beim ersten Lesen scheucht er uns auf wie die Hühner, wenn der Fuchs kommt.
Ich brauche hinterher einige Minuten, um wieder in meine Wirklichkeit zurückzufinden.
Stil und Wortwahl finde ich sehr gelungen.
Habe ein paar unbedeutende Rechtschreibfehler gefunden. Es handelt sich vorwiegend um Zusammen- oder Auseinander-Schreiben. Bin aber selber auch nicht mehr so sicher, seit der Rechtschreibreform in den 90 er Jahren.
Ich bin sehr gespannt auf weitere Texte.

Gruß
Heuberger
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Stiekel
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Re: Schwarzer Tee

Beitrag von Stiekel »

Wieviel Kraft es braucht, dem Hungergefühl zu widerstehen hast du hier eindrucksvoll geschildert.
Liebe(r)? NoaCenda, ich bin neugierig auf weitere Texte von dir.

Lieben Gruß von Sabine
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Nur wer sich selber liebt ist fähig,
auch andere zu lieben.
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