DIE GEBURT DER TOLERANZ AUS DEM GEISTE DER VERFRESSENHEIT

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heuberger
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DIE GEBURT DER TOLERANZ AUS DEM GEISTE DER VERFRESSENHEIT

Beitrag von heuberger »

Keine Bange, dies wird keine Abhandlung mit großen, wohlklingenden Worten nach der Art Nietzsches. Auch wenn es hier um so schwerwiegende Dinge geht wie Toleranz und Akzeptanz, so bleiben die Gedanken doch gewohnt „light“ präsentiert.
In Tagen, an denen von uns geradezu aggressiv Toleranz eingefordert wird, lohnt es sich, diesen Begriff näher anzusehen.

TOLERANZ: Das ist einfaches Ertragen und Dulden fremder, oft auch unangenehmer Menschen, Dinge und Zustände. Toleranz bedeutet nicht Anerkennung.
Des öfteren bekommen wir zu lesen : Tolleranz. Dies ist aber ein höchst unsicheres Unterfangen. Ursprünglich bedeutete „toll“ einfach nur „unruhig, einfältig, anmaßend, ver-rückt, geistesgestört, besessen, schizophren, also lauter negativ besetzte Begriffe. Wir haben dazu heute noch die Worte: (herum)tollen, Tollwut, Tollhaus. Später machte das Wort eine Bedeutungswandlung, hin zum Positiven, durch. Heute bedeutet toll soviel wie: : großartig, unglaublich (Ausdruck der Bewunderung), sagenhaft, wunderbar, super, geil, spitze, spitzenmäßig, klasse, dufte, stark, cool.
Jetzt ist aber TOLERANZ im Idealfall nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur vollständigen AKZEPTANZ, sozusagen der Annahme des Fremden an Kindes statt.

Das klingt alles so wunderbar, schön und mitreißend. Aber, wir sollten auf keinen Fall die Gefahr verkennen, die hier droht: Aus diesen bewegenden Worten wird bei zu häufiger Verwendung rasch hoch- und hohltönendes Geschwätz selbstverliebter rechtschaffener Gutmenschen. Da geht ihnen das Herz auf und die Augen über. Uns bleibt aber nur das betretene peinliche Abwenden von derart penetranter Phrasendrescherei. Oder, kurz und bündig: Das dauernde, gebetsmühlenhafte Herunterleiern kategorischer Lehrsätze ruft Widerstand hervor und macht aggressiv. Womöglich hat der Teufel das Predigen erfunden. Soviel zur „tollen Toleranz“.

Aber verlassen wir nun all das theoretische Bla-bla und begeben uns in die Niederungen der Realität, und zwar geradewegs in die Lebenswelt wienerischer Witzfiguren. Die sind viel anschaulicher und somit auch kurzweiliger. Es handelt sich um Graf Bobby und seinen Freund, den Baron Mucki. „Geschichten, die niemanden verletzen wollen und nur ein Ziel haben: Heiterkeit und Frohsinn zu verbreiten.“ Sozusagen das Wiener Pendant zum Mainzer : „Allen wohl, und niemand weh: Fassenacht beim MCC“, wie in den Fünfziger Jahren das Motto eines großen Mainzer Carnevalsvereins lautete. Also Wiener Schmäh ergänzt Mainzer Biederkeit.
Ganz so harmlos blond und naiv sind diese Witze allerdings nicht, vor allem dann, wenn sie uns einige Zusammenhänge verdeutlichen und dadurch bewusst machen können. Im Hinblick auf den weiteren Weg von der bloßen Toleranz hin zu einer gewissen Akzeptanz kann sich dieser Witz hier sogar als hilfreich erweisen.
Graf Bobby und sein Freund, der Baron Mucki, sollen uns hier, mit ihrer Begriffsstutzigkeit, als Führer und Wegweiser dienen:
Graf Bobby wird einmal gefragt, warum er denn, trotz seines Alters, immer noch ledig sei und anscheinend so gar nicht ans Heiraten denke. Das sei doch ein unhaltbarer Zustand. Und man würde hinter seinem Rücken bereits tuscheln. Ob es denn gar keinen Menschen gäbe, den er heiraten könnte, und mit dem er den Rest seines Lebens verbringen möchte?
„A wos“, sagt da Graf Bobby, „noch heirat i halt mein´ Freund, den Baron Mucki.“ „Aber, um Gottes Willen, das geht doch ganz und gar net, hat man sowas schon gehört?“
„Ah jo, stimmt!“ äußert sich da Bobby, „dös geht net, weil, der Mucki is jo evangelisch!“

Und jetzt nochmals kurz zurück in die trockene Dornenwüste der theoretischen Überlegung: Der eigentliche Witz hier ist die Verlagerung von einem höchst brisanten, damals teils tabuisierten, später heiß diskutierten Thema, der nicht heterosexuellen Lebensführung, was als gewaltiges Problem empfunden wurde, hin zu einem gewaltigen Problem in der ferneren Vergangenheit, das man als gelöst betrachtete: den Konflikt zwischen den Konfessionen katholisch und protestantisch. Diese, unerwartete, Verlagerung bewirkt ein spontanes Lachen. Lachen aber entspannt und trägt somit dazu bei, eine brenzlige Situation zu entschärfen. Wer lacht, schießt nicht so schnell.
Diese „Entschärfungsstrategie“ zeigt uns einen möglichen gangbaren Weg von der bloßen Toleranz hin zur Akzeptanz, indem er uns daran erinnert, dass es bereits einmal gelungen ist, ein ähnlich schweres Problem, in der Vergangenheit, zu lösen.
Was man schon einmal geschafft hat, das müsste doch jetzt auch wieder gelingen. Nur Mut!

Und so reisen wir zurück in die Vergangenheit, nur ein paar hundert Jahre. Graf Bobby sei unser Reiseführer.
Erinnern wir uns, was er sagte, warum er seinen Freund, den Mucki, nicht heiraten konnte. Und schon sind wir beim Kern des damaligen Problems, und beim Thema dieser Geschichte, wie aus Feindschaft und Ablehnung ganz vorsichtig Toleranz erwachen und erwachsen kann. Es sind zumeist ganz nebensächliche, völlig unbedeutende Anlässe.
Bitte nicht peinlich berührt sein, dass so eine großartige zivilisatorische Leistung, wie sie Toleranz darstellt, das Ergebnis einer primitiven Regung sein kann:

ANSONSTEN, HERR LUTHER, IST ALLES IN BUTTER
Dieser Teil der Geschichte spielt in der Nähe der Stadt Ulm an der Donau, im Schwäbischen, genauer (wie ein alter Spruch sagt):
In Ulm,
um Ulm,
und um Ulm herum,
und zwar beiderseits der Donau.
Links der Donau, südwestlich der Stadt Ulm, auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb, liegt eine Gegend, die heißt „LUTHERISCHE BERGE“. Es ist ein kleiner Streifen Land, irgendwo zwischen den Städten Ehingen, Blaubeuren und Münsingen gelegen. Seinen Namen erhielt dieses Ländchen in der Zeit der Renaissance und Reformation. Ein paar Dörfer fielen nach Ablauf eines Lehens zurück an den Herzog Ludwig von Württemberg. Württemberg aber hatte sich inzwischen der Reformation angeschlossen, und nach dem Grundsatz „CUIUS REGIO, EIUS RELIGIO“ (Wes der Fürst, des der Glaub´), wurden die Bewohner gezwungen, den evangelischen Glauben anzunehmen. Vorher waren sie Untertanen Österreichs und somit katholisch.
Und so verstanden sich nach einer Generation bereits die Bewohner derselbigen Gegend als wackere Protestanten, als Fels des protestantischen Glaubens in der anrollenden katholischen Brandung österreichischer Herkunft, also die waren Menschen, mit denen man keine Gemeinschaft pflegte. Die Leute aus der Umgebung wiederum sahen das ganz anders: Sie sahen sich als wackere katholische Verteidiger des Glaubens gegen den Giftstachel des Protestantismus´, jener Eiterbeule württembergischer Herkunft, in ihrem Fleisch. Mit solchem Pack pflegte man keine Gemeinschaft. Und als Erkennungsmerkmal gab man ihrem Wohngebiet den Schimpfnamen „Lutherische Berge“, um sie praktisch gleich als minderwertig und „igitt“ zu kennzeichnen.
Und so lebte man für lange Zeit getrennt, grollte und schmollte und lästerte ausgiebig über die jeweils anderen, denen man alle Schandtaten zutraute. Dass sie sich nicht auch noch gegenseitig für das schlechte Wetter verantwortlich machten, bleibt ein Rätsel.

Aber auch rechts der Donau hat der Protestantismus zugeschlagen, allerdings erst im 17. Jahrhundert. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, begannen die Habsburger Herrscher in Österreich, ihre Länder religiös zu „säubern“, d.h., alle Protestanten wurden endgültig aus dem Land vertrieben, wenn sie es nicht vorzogen, „reumütig“ in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Diese Vertreibungen wurden vorwiegend im tiefsten Winter durchgeführt, eine Maßnahme, um die Vertriebenen weiter zu demütigen. Solche Verfahren sind auch aus unserer Zeit wohlbekannt. So erging es denn auch vielen Kärntner Protestanten. Sie zogen vor allem in das Gebiet der protestantischen Freien Reichsstadt Ulm, die wiederum ihre zum großen Teil durch Krieg und Epidemien weitgehend entvölkerten Dörfer nicht weiter verfallen lassen wollte. So kamen die Neusiedler gerade recht. Viele Kärnter Vertriebene siedelten in der Gegend von Balzheim, südöstlich von Ulm, an der Iller gelegen. Dort leben heute noch viele ihrer Nachkommen. Also, jetzt auch hier: Protestanten isoliert in einer katholischen Umwelt. Für ihr Verhältnis zueinander galt lange Zeit das gleiche wie für die Lutherischen Berge: Man konnte sich nicht riechen und ging sich daher aus dem Weg.
Jetzt hatten die Kärntner Protestanten aber etwas aus ihrer Heimat mitgebracht, das Neugierde hervorrief; sozusagen eine ultimative Geheimwaffe, die jeglichen Widerstand zusammenbrechen ließ. Es handelte sich um das Rezept für die Herstellung einer Hausmacher Brühwurst. Diese Würste neuer Machart fanden denn auch großen Anklang, letztlich auch im katholischen „Ausland“. Und so entstand der kuriose Namen „LUTHERISCHE WÜRSTE“, oder noch exakter „LUTHRISCHE WÜRSTE“, um ihre exotische Herkunft, möglicherweise aus dem Reich des Bösen, zu dokumentieren.

Und so traten denn die Luthrischen Würste ihren Siegeszug an durch katholische Mägen. Und es entstand unter den Katholiken jener Gegend der entlarvende Spruch, wenn sie mehr oder weniger lästernd, ihre evangelischen Nachbarn charakterisierten:
„IHREN GLAUBA TAUGT NIX, ABER IHRE WÜRSCHT SEND GUAT!“
(= IHR GLAUBE TAUGT NICHTS, ABER IHRE WÜRSTE SIND GUT!)
Das ist beileibe keine ablehnende Diskriminierung! Im Gegenteil:
DAS IST EIN RIESENKOMPLIMENT! DAS IST ALLERHERZLICHSTE WILLKOMMENSKULTUR - auf schwäbisch, denn hier gilt „It g´scholta isch g´nuag g´lobt!“ (= Nicht gescholten ist genügend gelobt) Das ist ehrlich, kommt von Herzen und entbehrt jeglicher Peinlichkeit (im Gegensatz zu dem aufdringlichen Willkommensgeflöte derzeit auf unseren Bahnhöfen, mit Überreichung von heißgeliebten Kuschellieblingstieren, die übereifrige Mütter ihren Kindern als Spende abgepresst haben. Man findet die meisten dieser Willkommensgeschenke später in den Müllcontainern wieder, bereit zur Entsorgung. Mütter, sorgt wenigstens dafür, dass Eure Kinder, die unter Tränen ihre Lieblingtiere hergeben mussten, nicht auch noch miterleben müssen, wie diese dann achtlos weggeworfen werden!)
Und somit sind wir angelangt bei der Hauptüberschrift dieser Geschichte, der GEBURT DER TOLERANZ … Es ist ein romantischer Irrglaube, anzunehmen, Toleranz entstünde ursprünglich im Herzen. Das ist zumeist beileibe nicht so. Toleranz entsteht aus bitterer Notwendigkeit oder aus reiner Gier.
TOLERANZ FÄNGT ZUMEIST IM MAGEN AN, BEIM ESSEN, SELTENER IM HERZEN ODER BEIM VERSTAND! Soviel zur Überschrift für diese Geschichte.

Eine letzte Erklärung sei mir hierzu noch erlaubt, sozusagen als „Schmankerl“ (wir sind hier an der Grenze zu Bayern):
„ANSONSTEN, HERR LUTHER, IST ALLES IN BUTTER“
Es handelt sich um einen Uraltschlager aus den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mit Friedel Hensch und den Cyprys.
Im Text geht es um einen Herrn Lutter ( mit „tt“ ), wahrscheinlich aus vorauseilender Rücksichtnahme auf die „religiösen Gefühle“ fundamentalistischer Protestanten. Wenn man diesen Text aber unvoreingenommen betrachtet, so strotzt er geradezu vor Anspielungen auf die Situation Luthers und auf den Zustand der Kirche vor dem 31. Oktober 1517: Die „Familie“, das „Haus“ ist abgebrannt, die „Firma“ ist bankrott, beim „Flugzeug“ sind die Düsen verstopft, der Absturz steht bevor. In diesem Lichte hieße es dann in der dritten Strophe mit dem Sprung aus dem Flugzeug: „Nur Mut, Herr Luther, wagen Sie den Absprung, und führen Sie die Reformation durch.“ Ob Frau Hensch und den Cyprys damals die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen, als sie die Aufnahme vorbereiteten, ist nicht überliefert. Aber es wäre gut möglich. Man glaubt, in ihrem Singen ein gewisses Kichern und Grinsen im Hintergrund zu hören. Zuzutrauen wäre es ihnen.
Und darum nochmals, trotz aller Unwägbarkeiten:
ANSONSTEN, HERR LUTHER, IST SOMIT ALLES IN BUTTER!

Versucht doch mal, eine Luthrische Wurst in einer katholischen Pfanne zu braten - heute geht das, kinderleicht sogar. Und dazu gibt´s dann schwäbische Spätzle und österreichisches Blaukraut. Womit dann auch sämtliche Täter an einem Tisch versammelt wären.

WAHRLICH, DAS GIBT EIN FRÖHLICHES REFORMATIONSFEST!

https://www.youtube.com/watch?v=MRWOs9mKiXY
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