Schatten der Vergangenheit - Drama

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Hasi22
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Registriert: Sonntag 25. Oktober 2015, 23:41

Schatten der Vergangenheit - Drama

Beitrag von Hasi22 »

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Richie

Nichts als Dunkelheit umgab mich. Erdrückende, endlose Dunkelheit. Für manch einer war sie befreiend geradezu erleichternd, andere wiederum empfanden sie als weitgehend störend und bezeichneten sie als das pure Grauen. So auch ich, obwohl ich schon seit längerem von ihr umgeben war - in ihr lebte. In dieser nie enden wollenden Dunkelheit, die tief in meinem Inneren herrschte - zu einem festen Bestandteil meines jetzigen Lebens wurde. Ich blieb stehen und blickte in die weite Ferne. Vorne am Ende des Tunnels sah ich es. Ein helles Licht, nicht größer als ein gewöhnlicher Tennisball. Ein Licht in welches ich hineingehen wollte um all dem zu entfliehen, dieser Dunkelheit die mich all die Jahre von innen heraus auffraß und zu erdrücken schien. Ich setzte mich in Bewegung, das Licht fest im Blick. Schritt für Schritt näherte ich mich ihr, der erlösenden Helligkeit. Doch je schneller ich ging, desto mehr entfernte sie sich von mir. Als würde sie nicht wollen, das ich es tat. Ich mich wagte in sie hineinzutreten. In das weiße Licht. Verzweifelt beschleunigte ich meine Schritte, die von den engbeieinander stehenden Wänden widerhallten. »Bitte«, rief ich. Meine Stimme, nicht mehr als ein Flehen. »Bitte.« Keuchend blieb ich stehen und stützte meine Hände an den Knien ab. Mein Atem ging flach und meine Lunge brannte. Würde es jemals enden? Würde ich ihr jemals entfliehen können? »Richie.« Ruckartig hob ich meinen Kopf. Wer war da? »Richie. Bitte hilf mir.« Eine Frau. Das war definitiv eine Frau. Aber weshalb bat sie mich um Hilfe? Und wer zur Hölle war sie? »Richie. So hilf mir doch.« Ihre Stimme. Gebrochen und doch so voller Hoffnung. Hoffnung darauf gerettet zu werden. Aber von wem? Etwa von mir? Und vor was sollte ich sie denn retten? »Hallo? Ist da jemand?« Wieder setzte ich mich in Bewegung und lauschte angestrengt. Nichts als Stille. Beängstigende Stille. »Hallo? So antworte mir doch.« Ein Windhauch spürte ich in meinem Nacken und augenblicklich standen all meine Härchen die ich auch nur am Körper besaß zu Berge. Unter meinen Füßen begann es zu knirschen und abrupt verharrte ich in meinen Bewegungen. Vorsichtig sah ich an mir hinunter und schluckte schwer. Steine, klitzekleine Kieselsteine auf denen ich stand. »Richie.« Da, wieder diese Stimme. Ich hob meinen Kopf und im selben Moment taumelte ich einige Schritte zurück, so als hätte man mir geradewegs ins Gesicht geschlagen. Ich war draußen. Auf einer großen Lichtung umgeben von hohen, bedrohlich aussehenden Bäumen, die in schwindelerregender Höhe emporragten. Und mich einschlossen. Wie ein Gefängnis aus grünen Blättern. »Was.. Nein«, murmelte ich fassungslos und schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein.« Verzweifelt hob ich meine Hände und raufte mir das Haar. Diese Lichtung. Ich kannte sie. »Richie.. bitte.« Ihre flehenden Worte wurden vom aufsteigenden Wind zu mir herübergetragen und noch in der nächsten Sekunde fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Nein«, flüsterte ich. »Nein, nein, nein.« Gequält schloss ich meine Augenlider und versuchte den Drang laut loszuschreien zu ignorieren. Ich spürte meinen rasenden Herzschlag, der kurz davor war meine Brust zu sprengen und meine unkontrollierte Atmung. Die es mir kaum ermöglichte richtig zu atmen. Es mir um einiges erschwerte nachzudenken. Darüber, was hier gerade passierte. Mit mir. Einfach alles. Wieder erfasste mich ein Windhauch, der mir durch die Haare fuhr - sie durcheinanderbrachte. »Nein, verdammt«, rief ich, öffnete meine Augen und rannte blindlings los. Zweige peitschten mir ins Gesicht, hinterließen dunkle Blutschlieren auf meinen Wangen und Stirn. Den aufkeimenden Schmerz allerdings ignorierte ich so gut es ging. Wollte nur weg von hier. So schnell wie möglich. »Richie.« Ihre liebliche Stimme, so nah. Fast schon zu nah. Wie als würde sie mir folgen. »Nein«, schrie ich und der ausgeleierte Saum meines Shirts verhedderte sich kurzerhand an einem widerspenstigen Zweig, was es mir nicht ermöglichte weiter zu rennen. »Loslassen.« Hektisch bäumte ich mich auf und zog grob daran, bis er riss und ich nach vorne stolperte. Mich aber gerade noch so auf den Beinen halten konnte. Während ich versuchte meine Atmung zu normalisieren, ließ ich meinen panischen Blick umherschweifen. Wo befand ich mich? Und wo war.. sie? »Hallo?« rief ich und Vögel die durch meinen Ruf aufgeschreckt wurden, stoben nach oben in die Lüfte und wurden von der Dunkelheit der Nacht verschluckt. »Bitte«, stieß ich hervor und rieb mir meinen rechten Ellenbogen, was ich immer tat wenn ich mich fürchtete. »Was soll das, verdammt noch mal?« Ohne lange zu überlegen schlug ich nach rechts ein und stolperte sogleich über einen kleinen grauen Stein, den ich durch meine Panik hin nicht bemerkte. »Fuck«, knurrte ich und hüpfte auf einem Bein weiter vorwärts, bis der Schmerz im anderen nachließ und ich ihn wieder auf den Boden setzte, um so auf beiden Füßen weiterzugehen, immer tiefer in den stockfinsteren Wald hinein. Nur schwaches Mondlicht, welches durch die Bäume - die dicht aneinandergereiht standen, auf die Erde niederschien und alles und jeden in mysteriös wirkendes, weißes Licht tauchte, leuchtete mir ab und an den Weg, der sich nicht als allzu schwierig herausstellte. Immer weiter führte er mich in den Wald hinein und je weiter ich in ihn vordrang, desto mehr schnürte es mir die Luft zum atmen ab - solch eine unfassbare Angst herrschte in mir.
Nach einer Weile des verzweifelten Suchens - nach irgendeinem Ausweg, wurde der Weg um einiges breiter und mündete schließlich an einer Gabelung. Ich blieb stehen und sah mich nervös um. Rechts, links oder weiter geradeaus? Unentschlossen biss ich mir auf die Unterlippe. Was sollte ich denn jetzt tun? »Richie«, hallte ihre weibliche Stimme durch den Wald und unangenehme Gänsehaut breitete sich an meinem gesamten Körper aus. Es sollte aufhören. Die Folter sollte enden und zwar jetzt sofort. Ich ignorierte ihre Stimme mit Bedacht und begab mich nach links, nur um dieser Stimme die mir mehr als vertraut war, zu entkommen. »Was tust du.. komm zurück.« Wie von selbst beschleunigte ich meine Schritte und blickte stur geradeaus. »Das ist alles nur ein Traum. Nichts als ein Traum.. ein Alptraum«, versuchte ich mir einzureden. Doch ganz glauben konnte ich es nicht, da es sich für mich ziemlich real anfühlte. Wie als würde ich mich wirklich hier in diesem Wald befinden und den Weg suchen, der hinausführte. Eine Frau schluchzte leise. »Wieso.. wieso tust du das, Richie?« Wieder ein Schluchzen. Herzzerreißend und so voller Trauer. »Wieso tust du nichts?« Zum Ende hin brach ihre Stimme und ohne es eigentlich wirklich zu wollen, blieb ich stehen. Meine Schläfen pochten wie verrückt und aufkeimender Schwindel hieß mich willkommen. »Was soll ich tun? Was verdammt?« schrie ich in den Wald hinein, während ich mich mehrmals im Kreis drehte. »Was denn?« und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Eine warme Träne quoll aus meinem Augenwinkel und kullerte über meine Wange. Ich konnte nicht mehr - war am Ende. Kaputt. Erschöpft senkte ich meine Arme und spürte wie mir abermals eine Träne über die Wange rann. Wieso. Wieso tat sie das. Wieso tat sie mir nur so weh? Sah sie denn nicht wie ich litt - wie schlecht es mir dadurch ging? Es raschelte in den Bäumen hinter mir und etwas warmes legte sich auf meine Schulter, ehe mir jemand ins Ohr flüsterte: »Rette mich.« Erschrocken zuckte ich zusammen und wirbelte auf der Stelle herum. Niemand war zu sehen. Bis auf das leise rauschen der Bäume, als leichter Wind hindurch fegte, herrschte hier Stille und alles lag in vollkommener Dunkelheit da. Eine Dunkelheit die ich so sehr hasste. »Wer ist da?« Mein Herz schlug mir bis zum Halse und mein Atem beschleunigte sich bis ins unermessliche. Hier war doch jemand. Zu meiner linken raschelte es in den Bäumen und ein gellender Schrei, einer Frau fuhr mir bis ins Mark und ließ mich wie Espenlaub erzittern. »Richie. Oh, Gott. Hilf mir.« - »Nein«, schrie ich. »Tatjana.« Hastig machte ich kehrt und rannte. Rannte so schnell ich konnte. Immer diesen schmerzerfüllten, angsteinflößenden Schreien nach, die ohne Pause hintereinander durch die Wälder hallten. »Tatjana«, schrie ich aus vollem Halse, bis er schmerzte. Ich stolperte über eine - aus dem Boden herausragenden Wurzel und in der nächsten Sekunde landete ich mit dem Gesicht voran unsanft auf dem harten Waldboden. Lose Blätter und morsche Zweige stoben in alle Richtungen und ein unerträglicher nie enden wollender Schmerz durchfuhr mich, der bewirkte das ich stöhnend meinen Kopf anhob, um mehrmals auf den Boden zu spucken. Leises wimmern drang mir in die Ohren und der Geruch von feuchter Erde und irgendetwas anderem kroch mir tief in die Nase. »R-Richie«, schluchzte sie. »Bitte.« Tatjana. Ungelenk rappelte ich mich auf und erstarrte. Dort am Fuße eines besonders großen Baumes lag jemand. Eine kleine, zierliche Gestalt. »Nein«, flüsterte ich und Tränen stauten sich in meinen Augen an. Vorsichtig näherte ich mich ihr und schluckte schwer, als ich erkannte um wen es sich hierbei handelte. Tatjana. Fassungslos sank ich neben ihr in die Knie, nicht imstande auch nur irgendwelche Worte über meine Lippen zu bringen. Das durfte nicht wahr sein. Sie konnte, nein sie durfte es nicht sein.. aber sie war es. »Baby?« murmelte ich und konnte nun die Tränen, die ich so tapfer versucht hatte zurückzudrängen, nicht länger halten. Unaufhaltsam wie ein gleißender Wasserfall rannen sie mir über die Wangen und tropften von meinem Kinn hinab auf ihren leblosen Körper. »Nein, bitte«, schluchzte ich und beugte mich über sie. Das darf nicht sein. Es darf einfach nicht sein. Ich drehte sie auf ihren Rücken und wurde von ungebändigten Schluchzern überrollt. »Verdammt. Tatjana.« Mit zitternder Hand strich ich ihr eine lose Haarsträhne aus der Stirn und berührte so ihre bleiche Wange. Entsetzt fuhr ich zusammen. Sie war kalt. Eiskalt. Schluchzend nahm ich ihr zartes Gesicht in beide Hände und strich mit meinen Daumen über ihre blau angelaufenen Lippen. Kein einziger Lufthauch entwich ihnen, als sie sich unter dem Druck leicht öffneten. »Oh, Tatjana«, schluchzte ich leise und beobachte wie manche Tränen auf ihr regloses Gesicht tropften. An ihrer bleichen Haut hinab rannen. Wie schön es doch jetzt wäre, wenn sie ihre Augen öffnen würde um mich aus wunderschönen Azurblauen Meeren anzusehen. Oder mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu drücken, nur um dann kichernd von mir wegzurennen. Schniefend richtete ich mich wieder auf und nahm - wenn auch etwas verschwommen den Rest ihres kleinen Körpers in Augenschein. Ein weißes Kleid bestückt mit winzigen, glitzernden Pünktchen schmiegte sich eng an ihre üppigen Kurven. Kurven, bei denen mir damals - als ich sie zum ersten Mal sah regelrecht das Wasser im Mund zusammenlief. Und ihre einst so samtweiche, gebräunte Haut die sich an meinen Handflächen wie Seide anfühlte, wenn ich sie ausgiebig liebkoste. »E-Es t-tut mir s-so leid«, stotterte ich und wischte mir forsch übers Gesicht. »So leid.« Schluchzend beugte ich mich vor und vergrub mein Gesicht an ihrem Bauch, wie ich es früher immer tat. Nur mit Mühe schlossen sich meine Augenlider. Wollte nichts mehr sehen. Wollte nichts mehr hören. Ich wollte einfach nur weg von ihr und von diesem Wald. Wohin, das war mir egal. Hauptsache weg von hier.. ganz weit weg.
Ohrenbetäubendes Piepen ertönte, das in meinen Ohren widerhallte und ruckartig hob ich meinen Kopf und öffnete meine Augen. Grelles Licht traf mich - anstatt dieser Dunkelheit, das in meinen Augen brannte und vor Schmerz kniff ich sie mehrmals hintereinander zusammen, bis meine Augen sich an dieses grässliche Licht gewöhnten. Eine weiße Zimmerdecke war das erste was ich ohne weitere Probleme um mich herum wahrnahm. »Tatjana?« krächzte ich heißer und erwartete eine Antwort, bekam aber keine. »Tatjana?« Langsam richtete ich mich auf und prompt fiel mir eine lose Haarsträhne in die Stirn. Grob strich ich sie mir hinters Ohr und blickte ganz der Gewohnheit nach, auf die rechte Seite des Bettes, dort wo früher Tatjanas Platz war. Dicht neben mir. Aber anstatt nun dort zu liegen und mir mit einem ihrer schönsten Lächeln einen wunderschönen guten Morgen zu wünschen, war der Platz zu meiner Rechten leer. Ein eigenartiges Gefühl überkam mich. Es war nur ein Traum. Ein schrecklicher, beängstigender Alptraum, der mich Nacht für Nacht heimsuchte und mich mit jedem Tag mehr und mehr brach. Mich seelisch als auch körperlich fertig machte. »Es war nur ein Traum. Ein Alptraum«, murmelte ich fassungslos und schüttelte den Kopf. Und ich dachte tatsächlich, für einige Sekunden lang das sie hier bei mir war, neben mir lag und mich liebevoll anblickte. Stattdessen war sie fort. Tod. Und würde nie mehr wiederkommen, egal wie sehr - und wie oft ich es mir auch wünschte. Es würde niemals passieren. Verzweifelt fasste ich mir ins Haar und fuhr mir dann mit beiden Händen übers angespannte Gesicht. Nie wieder würde sie mich mit diesem zärtlichen Ausdruck in ihren Augen ansehen, wenn sie mir leise ins Ohr flüsterte, wie sehr sie mich doch liebte. Nie wieder würde ich ihr strahlendes Lächeln - welches sie noch schöner wirken ließ, zu Gesicht bekommen. Ein Lächeln, das mich geradezu um den Verstand brachte und in das ich mich einst ganz und gar und unwiderruflich verliebte. Nie mehr. »Nein, nein«, murmelte ich, winkelte meine Beine an und umschlang sie mit meinen Armen. »Wieso, wieso denn nur?« Mit geschlossenen Augen wiegte ich mich vor und zurück. Meinen Kopf platzierte ich auf meinen Knien. »Wieso.. wieso?« flüsterte ich und spürte wie eine Träne es schaffte sich einen Weg unter meinem geschlossenen Augenlid hervor zu bahnen und über meine Wange zu kullern. »Das ist nicht fair«, schluchzte ich und im selben Moment rann mir ein eiskalter Schauer über den Rücken und es schüttelte mich heftig, ehe ich begann ununterbrochen zu weinen.
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