DIE SCHÖNE IST GEKOMMEN

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heuberger
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DIE SCHÖNE IST GEKOMMEN

Beitrag von heuberger »

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NOFRETETE AM NIEDERRHEIN
In den sechziger Jahren gab es in der Bundesrepublik Deutschland regulär nur drei Fernsehprogramme: Das Erste (ARD), das Zweite (ZDF), und die Dritten Programme, das waren regionale Bildungsprogramme der Sendeanstalten der einzelnen Bundesländer. Das Angebot war damals also weitaus bescheidener als heut. Die Qualität allerdings war mindestens auf dem heutigen Niveau, eher besser.
Um dies zu belegen, möchte ich kurz folgende Begebenheit erzählen, und bitte um Nachsicht für dieses Abschweifen vom vorgegebenen geraden Weg. Ich versichere, die „Schöne“ wird schon noch kommen, sie hat bereits sehr lange gewartet. In den Achtziger Jahren war die Privatisierungswut bereits soweit fortgeschritten, dass viele neue, private Fernsehsender entstanden, und zwar in fast allen Ländern. Dies bedeutete, zumindest theoretisch, eine Bereicherung des Programmangebots. Allerdings, was wurde gesendet?
Die uralten Serien der Öffentlich-Rechtlichen, die diese auch bereits in mehreren Wiederholungen gezeigt hatten. Also waren auch hier Wiederholungstäter am Werk. Dennoch wollte auch ich mit der Zeit gehen, damals.
"Ach", seufzt ein Mensch, es eilig habend,
"nur allzu bald ist Heiligabend.
Geht's an", beginnt er scharf zu denken,
"mir was für den Bedarf zu schenken?"
Und so leistete ich mir den Luxus einer Satellitenanlage, bestehend aus Antenne, in Form einer großen Schüssel, und Receiver. Das war mein großzügiges Weihnachtsgeschenk, das ich mir damals gönnte. Ein Freund stieg mir aufs Dach und installierte die ganze Anlage, am Morgen des 24. Dezember, Heiligabend.
Ich war überglücklich und gespannt: WEIHNACHTSSENDUNGEN AUS ALLER WELT !
Zuerst ein schwedischer Sender: Zwei Männer vergewaltigten eine Frau, brachten sie anschließend um, und zerstückelten sie. NEIN, SOWAS WILL ICH NICHT SEHEN. Also weiter umschalten.
Ein arabischer Sender, der Schrift nach: Mehrere Männer vergewaltigen eine Frau, bringen sie dann um und zerstückeln sie. Kommt mir irgendwie bekannt vor. NEIN!!! Weiterschalten!
Ein ostasiatischer Sender: Eine Frau wird von einem Mann vergewaltigt, dann umgebracht, dann zerstückelt …. Ich habe die Schnauze gestrichen voll.
SCH … SATELLITENFERNSEHEN !!!
Es gelingt mir, den Receiver von seinen Kabeln zu lösen, das Fenster aufzumachen, und den Receiver hinauszuwerfen, in den Schnee.
Das war meine erste Begegnung mit dem reklamefinanzierten Privatfernsehen. Was die Programmmacher so verstanden, was Unterhaltung an Weihnachten beträfe. Ich konnte es nicht fassen.
Später hab ich dann aber doch Sender gefunden, die Gescheiteres boten.

Aber geh´n wir nochmals zurück zum guten alten „Dampf-Fernsehen“ der Sechziger- und Siebziger Jahre. Irgendwann, ab etwa Mitte der Siebziger Jahre, kamen, von Amerika übernommen, die Talkshows auch im Deutschen Fernsehen auf. Da unterhielten sich Prominente vor Publikum über ein gewisses, vorgegebenes Thema. Dabei hatten sie jede Gelegenheit, sich und ihre Gedanken in das günstigste Licht zu setzen. Damals waren Liberalität und Individualität ganz groß in Mode, und wurden daher auch zelebriert bis zum Exzess. Es galt also, sich als aufgeklärt-liberal und unverwechselbar darzustellen.

Und so stand denn auch einmal eine Talkshow an am Freitagabend. Der WDR hatte geladen, und alle, alle waren ins Studio nach Köln gekommen. Als Thema war diesmal „Reinkarnation“ angesagt, Wiedergeburt und Erinnerung an ein früheres Leben. Zwölf prominente Gäste, Schauspieler und Schauspielerinnen, Sänger und Sängerinnen und andere Leute aus dem Showgeschäft, waren erschienen und wollten plaudernd den Abend vor Publikum verbringen.

Eröffnet wurde der Abend vom Moderator. Leider weiß ich nicht mehr, wer das war. Er erzählte kurz etwas über das Thema Reinkarnation, und dass er gedenke, an diesem Abend jeden Teilnehmer nach seinem persönlichen Standpunkt dazu, bzw. nach seiner Erfahrung mit diesem Thema zu befragen. Und er wandte sich seinem ersten Gast zu, einem sehr bekannten Schauspieler, der berichtete, sich schon lange mit Wiedergeburt zu beschäftigen, und auf diesem Gebiet sogar eigene Erfahrungen gemacht zu haben. Und so könne er berichten, er sei vor sehr langer Zeit und vielen Inkarnationen Koch gewesen am Hofe der Königin Nofretete im alten Ägypten. Er berichtete, dass sie besonders Blumen und Früchte sehr liebte. Als man ihn nach Rezepten aus seiner königlichen Küche fragte, musste er passen. Wer wollte sich darüber wundern? Nach dreieinhalbtausend Jahren verblasst eben die Erinnerung ein bisschen. Er beschrieb die Königin als strahlend schön, sehr sanft, aber dennoch durchsetzungsfähig. Ihr Name, Neferet iti, sagt es ja: Die Schöne ist gekommen.

Nach dieser, wahrhaft erschöpfenden Auskunft über die Königin, war es an seiner Nachbarin, einer sehr bekannten Schlagersängerin, die damals bereits etwas zur Fülle neigte, über ihren Bezug zur Reinkarnation zu berichten.
Wie es der Zufall so will - oder vielleicht griff das Schicksal persönlich ein - war sie in einem weit zurück liegenden früheren Leben Tempeltänzerin am Hof Nofretetes gewesen. Sie berichtete von kultischen Sonnentänzen, von denen die Königin sehr angetan gewesen sei. Und dann erzählte sie von den exakt festgelegten Schrittfolgen dieser Tänze, die Gebete gewesen seien. Bei ganz großen und hohen Anlässen hätte die Königin auch selbst mitgetanzt. Die Musik sei sphärenhaft gewesen. Sie redete sich immer mehr in Begeisterung, dass man schon befürchten musste, sie begänne gleich, einem Walross ähnlich, elfengleich durch den Raum schwebend, einen solchen Tanz vorzuführen. Doch dieser Kelch ging an den Anwesenden vorüber. Das Publikum bekam runde Augen und klatschte beflissen Beifall.

Und weiter ging´s mit der Rückerinnerung: Als nächster war ein bekannter Regisseur an der Reihe, der zuvor laut polternd von der ganzen Veranstaltung nichts gehalten hatte, sich aber, nach gutem Zureden, als ehemaliger Priester des Aton zu erkennen gab. Er stellte klar, dass er es war, der den berühmten Sonnengesang des Echnaton ( des Gatten der Nofretete ) geschrieben hatte, und dass es damals üblich war, dass der Herrscher als Verfasser genannt wurde. Zur Religion des Echnaton wusste er nur noch zu sagen, es sei der Glaube an einen Gott, verkörpert als Sonne, gewesen. Nähere Einzelheiten seien ihm, nach so langer Zeit und nach so vielen Inkarnationen, nicht mehr verfügbar.

Und so ging es den ganzen Abend weiter. Es tauchten immer noch exotischere Gestalten, mit noch abenteuerlicheren Berufen aus dem Umfeld Nofretetes, auf. Da waren zwei Musikantinnen, eine Hofdame, eine Dienerin, dazu ein Vorleser, ein Arzt und ein Wagenlenker.
Mittlerweile war bald gut und gerne der gesamte Hofstaat Nofretetes im WDR-Studio in Köln versammelt. Dieses gewann dadurch gewaltig an Glanz. So erstrahlte es allmählich sanft in golden-rötlichem Licht. Die Stimmung im Saale stieg. Alles wartete unausgesprochen auf die Ankunft des Hohen Paares. Auch das Publikum schien bereit zur Huldigung.

Die beiden letzten Gäste waren noch nicht vorgestellt worden. Es handelte sich um einen Mann und um eine Frau. Ob sie es wohl waren?

Der Mann war es nicht! Er gab an, Vorkoster an der Tafel Nofretetes gewesen zu sein. Seine Aufgabe war es, alle Speisen zu probieren. Falls sie vergiftet waren, so würde er den Hohen Herrschaften sein eigenes Leben opfern, um das ihrige zu erhalten. Niemals war so etwas vorgefallen. Aber er geriet einmal in heftigen Streit mit einem der Haremswächter Echnatons, einem Eunuchen. Der passte ihn dann heimlich eines Abends ab und erschlug ihn. Was für ein schmähliches, unrühmliches und unehrenhaftes Ende für einen königlichen Vorkoster! Von einem Eunuchen erschlagen. O Schande!

Und somit ruhten jetzt alle Hoffnungen auf dem letzten, noch nicht vorgestellten Gast. Sie war eine ehemals sehr bekannte, große Schauspielerin, bekannt vor allem für etwas anrüchige, aber ehrliche Rollen.
Später geriet sie in einen unheilvollen Sog des Lebens, so dass sie für etliche Jahre von der Bildfläche verschwand. Wiederum später tauchte sie dann aber wieder auf und arbeitete erfolgreich weiter an ihrer Karriere.
Die Zeit war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ihr Gesicht war voller tiefer Falten und Runzeln, mitten in einem dichten, blonden Haarschopf.
Und ausgerechnet sie sollte die frühere Königin Nofretete gewesen sein?
Ne – fe – re- titi? das heißt: DIE SCHÖNE IST GEKOMMEN

Pustekuchen! Hat sich was mit der Schönheit!

Allerdings: Nach mehr als 3 500 Jahren Liegezeit sehen wir wohl auch mehr oder weniger zerknittert aus - und weniger taufrisch.

Also: WAR SIE´S ODER WAR SIE´S NICHT?
Der Moderator, die Gäste und das Publikum blickten sie atemlos an und harrten ihrer Antwort.

Es war ein ergreifender Augenblick!

Da öffnete sie den Mund und setzte zum Sprechen an:

„ICH WAR NOFRETETES PUTZFRAU!“ meinte sie süffisant.

Für mich ist das in der Erinnerung immer noch einer der größten Momente in der Geschichte des Fernsehens in Deutschland, und jene Schauspielerin ist dadurch mein besonderer Liebling geworden.

Ich bitte um Nachsicht für die Irreführung durch die Überschrift. Die Schöne ist (wieder) nicht gekommen! Aber immerhin, ihr Hofstaat war anwesend.
DAS WAREN NOCH ZEITEN BEIM FERNSEHEN, AUF HÖCHSTEM NIVEAU!

Was hat es dagegen heut zu bieten?
Kathrin Göring-Eckart, Claudia Roth, Margot Käßmann, u.v.a.mehr, im Vergleich zu Nofretetes Putzfrau?
Diese Leichtgewichte stemmt die allemal und wiegt sie auf, hundertfach!

:D
Lena
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Re: DIE SCHÖNE IST GEKOMMEN

Beitrag von Lena »

Eine Kolumne, die ich mit einem Schmunzeln gelesen habe. Gut geschrieben, Daumen hoch!

Etwa in der Mitte hätte ich zwar beinahe mit dem Überfliegen begonnen, aber du hast die Kurve noch gekriegt und mich bei der Stange gehalten. :mrgreen:

LG Lena
Das höchste Gut ist die Harmonie der Seele mit sich selbst.
Seneca
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heuberger
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Re: DIE SCHÖNE IST GEKOMMEN

Beitrag von heuberger »

Danke, liebe Lena
:D
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