MERKWÜRDIGE BEGEGNUNG

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heuberger
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MERKWÜRDIGE BEGEGNUNG

Beitrag von heuberger »

Johannes 1, 5
… UND DAS LICHT SCHEINT IN DER FINSTERNIS, UND DIE FINSTERNIS HAT´S NICHT BEGRIFFEN …

Die folgende Begebenheit müsste ich wohl am besten unter dem Vermerk „UNERLEDIGTES“ zwischenlagern, denn sie beunruhigt mich heute noch, wenn ich daran denke, beinahe so stark, wie damals, als ich sie erlebte. Das war vor etwa dreißig Jahren.
Damals lernte ich, eigentlich durch Zufall, bei einem Spaziergang zwei Leute kennen, einen Mann, der etwa mein Alter hatte, und eine ältere Dame, die seine Mutter war. Wie wir ins Gespräch kamen, das habe ich vergessen, und ebenso, worüber wir uns unterhalten hatten. Schließlich ging man gemeinsam in ein Restaurant zum Mittagessen.

Dort erfuhr ich dann so ganz nebenbei eine traurige Geschichte. Es war kurz vor dem Krieg. Da wurde die Mutter, die leicht behindert war, sterilisiert. Es gab damals ein Gesetz „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, von den Nazis erlassen. Menschen mit Behinderungen, die tatsächlich, oder vermeintlich, vererbbar waren, sollten daran gehindert werden, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Um dies auch zu gewährleisten, wurden solche Menschen zwangssterilisiert. Und dies war hier mit der Mutter geschehen. Dafür konnte sie allerdings ein Waisenkind adoptieren. Und so war damals diese Konstellation Mutter – Sohn entstanden.
Nun war mir zwar bekannt, dass zur Nazizeit derartige Maßnahmen eingeführt wurden, und auch durchgeführt. Aber hier lernte ich zum ersten Mal Menschen kennen, denen so etwas persönlich geschehen war. Das berührte dann sehr.
Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung, und sei sie auch nur indirekt. Oder, organisch gesprochen, wir verstehen, wie etwas geschieht und was geschieht, wenn wir unseren Verstand benützen, also, unser Gehirn einschalten. Begreifen tun wir das aber erst ganz, wenn dies dann auch unser Herz erreicht und sich dort festsetzen kann. (Mit dem Gehirn verstehen, dann mit dem Herzen begreifen). Vollständig werden wir erst, wenn wir, bildlich gesprochen, beide Organe einsetzen und benützen.

Mir fiel auf, dass beide, Mutter und Sohn, in einer etwas euphorischen Stimmung waren, sie wirkten wie leicht beschwipst. Mir wurde ein bisschen unheimlich und unbehaglich.
Aber dennoch ließ ich mich von den beiden einladen, den Nachmittag mit und bei ihnen zu verbringen.

Als sie die Tür öffneten, brach ein Höllenlärm los: Ein Dackelhund und eine Katze begrüßten uns laut - und stürmten auf uns los. Der Dackel bellte laut, und die Katze, die bellte auch. Sowas hatte ich noch nie erlebt und gehört. Und da wurde mir erklärt, die Katze wäre von der Dackelmutter aufgezogen worden als deren Kind. Darum bellte sie, so gut sie das konnte. Ihre Muttersprache war also „hündisch“ - im wörtlichen Sinne.
Natürlich fiel mir die Parallele Mutter und Adoptivsohn zu Dackelmutter und Katzenkind auf. So etwas Außergewöhnliches sticht ins Auge.
Ich war auch sehr gerührt darüber, dass es so etwas auch in Wirklichkeit gab. Ohne Rücksicht darauf, ob das arrangiert war oder mehr dem Zufall zu verdanken.
Dennoch blieb ein Unbehagen. Das alles hatte einen Mief nach Kleinbürgerlichkeit, Klammern, Anspringen, Einkesseln. Ich liebe es ganz und gar nicht, „überfallen“ zu werden. Und dies hier empfand ich als Überfall mit Aufforderungscharakter. Warum haben Mutter, Sohn, Hund und Katze mich derart angesprungen? Ich verstand das nicht, damals nicht und heute nicht.
So war ich froh, als ich mich nach dem Kaffee und Kuchen wieder verabschieden konnte von den beiden Paaren. Es war eine Flucht. Ich habe sie später nie wieder gesehen.

Es bleibt für mich aber immer noch das Rätsel, wozu sollte ich aufgefordert werden? Warum wurde mir diese außergewöhnliche Konstellation des Angenommenseins gleich zweimal gezeigt und vorgeführt?
„Nehmet einander an, so wie ich euch angenommen habe.“ Klar! Aber weshalb dann dieses mächtige Unbehagen bis auf den heutigen Tag?

Liebe Freunde, vielleicht kann mir da jemand von Euch helfen. Was habe ich übersehen? Ich kenne mich. Es dauert oft lange, bis der „Groschen fällt“. Und ich weiß auch, dass die Lösung wahrscheinlich deutlich sichtbar vor mir liegt, dass ich sie sogar sehe, aber ich nehme sie einfach (noch) nicht wahr.

Das ist ein bisschen wie im Advent: Erst wenn die Dinge angesprochen und geklärt sind, sind wir bereit für das große Ereignis.
Also will ich mich weiterhin noch in Geduld üben. Vielleicht „schnackelt´s dann doch mal.
Lena
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Re: MERKWÜRDIGE BEGEGNUNG

Beitrag von Lena »

Das ist eine anrührende Geschichte, die nachdenklich macht, auch wütend und etwas Gänsehaut.

Lieber Heuberger,
ich bin mir sicher, dass diese Begegnung einen bestimmten Zweck für deine eigene Entwicklung hat/hatte. du wirst schon noch darauf kommen.
Und wenn sie dir nur eine weitere Möglichkeit gegeben hat, Urteile zurückzuhalten und tolerant zu reagieren. Eine Übung sozusagen.
Grübel nicht!

LG Lena
Das höchste Gut ist die Harmonie der Seele mit sich selbst.
Seneca
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heuberger
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Re: MERKWÜRDIGE BEGEGNUNG

Beitrag von heuberger »

Danke, liebe Lena,
Ich glaube, ich bin der Sache bereits etwas näher gekommen. Es geht wirklich ums gegenseitige Annehmen, auch bei Leuten, die sich so gar nicht "riechen"! können. Letztlich auch eine vergnügliche Angelegenheit.
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