DIE POLIZEI, DEIN FREUND UND HELFER

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heuberger
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DIE POLIZEI, DEIN FREUND UND HELFER

Beitrag von heuberger »

Es ist uns eine wohlvertraute Tatsache, dass die Polizei, ihrer Aufgabe gemäß, die Kriminalität bekämpft. Dazu stehen ihr verschiedene Methoden und Hilfsmittel zur Verfügung, die alle, mehr oder weniger, dem Zwecke dienen, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, oder, zumindest, den Eindruck zu erwecken, dass dem so sei. Eine wahrhaft ehrbare Aufgabe!

Nun gibt es aber viele Länder auf der Welt, ein Teil des unsrigen gehörte bis vor kurzem noch selbst dazu, bei denen diese Ziele nur vorgetäuscht werden, um Unsicherheit, manchmal sogar Terror, zu verbreiten, damit die für ahnungslos erachtete Bevölkerung sich dankbar den Wünschen ihrer Obrigkeit fügt und unterordnet. Hier arbeitet die Polizei gezielt an der Unterdrückung mit.

Gibt es jetzt gar auch noch den dritten Fall, dass die Polizei durch eigene Handlungen, die die Grenzen zur Kriminalität zumindest berühren, die Sicherheit der Bevölkerung, - oder wenigstens eines Teils davon, - oder auch eines sehr kleinen Teils, - oder gar nur einer einzelnen Person, - erfolgreich wieder herstellt?

Schmal, steinig, unbequem und mühsam sind die Wege der reinen Tugend und wackeren Rechtschaffenheit – und allzu laut girren die Sirenen der Verlockung aus dem Gebüsch und verheißen einfache und vollständige Problemlösungen. Und so kann selbst unsere Polizei, der Garant unserer Sicherheit und Gesetzestreue, einmal auf Abwege geraten, wenn ein Vaterherz in Nöte gerät, sein törichtes Kind vor den selbstverursachten Folgen nicht durchdachten Tuns zu bewahren.

Eines Tages, ich war an meinem freien Nachmittag extra an meinen alten Wohnort gefahren, um dort die Mutter zu besuchen, saßen wir gerade am Tisch und tranken Kaffee, als es an der Haustür klingelte.
Draußen stand unser Dorfpolizist, in Uniform, und bat uns um unsere Mithilfe.
Seit längerer Zeit waren wir gut mit ihm befreundet. Er war Witwer mit zwei erwachsenen Töchtern.

Er zeigte uns einen Brief, den er von Freunden aus Frankreich erhalten hatte und bat uns, ihn zu übersetzen. Da dies längere Zeit in Anspruch nahm, wurde er gebeten, sich mit an den Tisch zu setzen, und eine Tasse Kaffee mitzutrinken, und den Kuchen zu probieren.

Und als wir zu dritt am Tisch saßen, plauderten wir über allerlei belanglose Dinge, bis er mich plötzlich fragte, wie ich als Lehrer reagierte, wenn ein Kind dauernd keine Hausaufgaben machte. Da wurde ich zunächst etwas rot im Gesicht, dann überlegte ich, was darauf zu antworten sei. Schließlich entschied ich mich dafür: „Meine gesamte Reaktion hängt einzig und allein davon ab, ob der Schüler voraussichtlich fähig ist, ohne zusätzlichen Aufwand das Lernpensum zu schaffen. Wenn dies der Fall ist, dann sag ich den Eltern, dass es letztlich ok ist, wenn ihr Kind keine Hausaufgaben macht. Allerdings dürfen sie von ihm dann auch keine Wunderdinge erwarten.“
Und zu dem Kind würde ich sagen: „Ich weiß. Dass Du Deine Hausaufgabe nicht gemacht hast. Also erzähle mir, bitte, keine langweiligen Ausreden, sondern sag einfach, dass Du sie nicht gemacht hast, oder erfinde eine tolle Geschichte, warum Du sie nicht hast. Dann will ich damit zufrieden sein.“ Auf die erstaunte Frage, woher ich das wisse, gab ich meine Standardantwort: „Ihr Schüler vergesst immer, dass alle Eure Lehrer auch mal Schüler waren, vor Eurer Zeit, die haben auch alle Eure Ausreden bereits mal benutzt, alle Eure Streiche bereits mal gespielt, das heißt, sie kennen alle Eure Tricks, und meistens haben sie noch ein paar mehr auf Lager als Ihr.“

Da schaute mich unser Besuch groß an und fragte mich leicht ironisch: „Sag bloß, Du hast da noch eigene Erinnerungen aus Deiner Schulzeit?“ „Ja“, gab ich unumwunden zu, und setzte noch eins drauf: “Ich habe meine gesamte Schulzeit hindurch nie Hausaufgaben gemacht.“ Da stellte er seine Tasse hart auf die Untertasse, kicherte in ich hinein und fragte mich, ob ich dafür nie bestraft worden sei. „ O doch, und wie.“ versicherte ich. „Ich bekam Ohrfeigen, aber das half auch nichts, und dann bekam ich jede Menge Einträge ins Klassenbuch. In einem Schuljahr habe ich es auf 25 Einträge gebracht, aber ich blieb standhaft und ließ mich nicht vom rechten Weg abbringen.“

Daraufhin erzählte er uns eine der verrücktesten Geschichten, die ich jemals zu hören bekam.

Wie bereits erwähnt, hatte er zwei Töchter. Die ältere war wohl geraten, intelligent, strebsam, immer hilfsbereit, arbeitsam, pünktlich, genau, einfühlsam, auf die Einhaltung von Regeln bedacht, und tugendsam. Sie war die reine und lautere Freude ihrer Eltern und Erzieher. Alle diese Eigenschaften machten sie äußerst liebenswert, aber für Erzählungen reichlich uninteressant, bis hin zur Langeweile.
Dies wurde aber wieder aufgewogen durch eine weitere, sehr positive Eigenschaft: Sie war zu allem hin auch noch ausnehmend hübsch und sah einfach verboten gut aus.
Die jüngere war in vieler Hinsicht genau das Gegenteil ihrer älteren Schwester.
Zwar war auch sie außerordentlich hübsch, und intelligent. Aber sonst schien es keine weiteren Berührungspunkte zwischen beiden zu geben. Die jüngere war nicht im geringsten strebsam, arbeitsfreudig, besonders pünktlich oder genau, oder gar auf Einhaltung von Regeln bedacht, die andere Leute aufgestellt hatten. Sie war eher der rebellische Typ, aufsässig, und auch dies kam vor: unbelehrbar bis hin zur Sturheit. Eltern und Lehrer betrachteten sie manchmal als eine Art Sorgenkind. Aber auch dies kümmerte sie nicht. Und so waren denn ihre Erzieher, selbst noch befangen in einem moralischen System, das nur in Gut- und Böse-Kategorien zu denken vermochte, auch nur fähig, ihr Verhalten durch Bestrafung ändern zu wollen.
Nun waren damals aber körperliche Züchtigungen als Strafen bereits abgeschafft. Also blieb nur noch der Eintrag ins Klassenbuch.
Solch ein Klassenbuch war immerhin ein Dokument, das Zeugnis über unser Wohl- oder Missverhalten ablegte. Und da wir in Deutschland leben, dem Lande der Urkunden, so hatte ein Eintrag ins Klassenbuch schon eine gewisse Wirkung. Und so bekam des Polizisten aufmüpfiges Töchterlein mit schöner Regelmäßigkeit einen solchen Eintrag. Bald war sie die ungekrönte Eintragskönigin des Gymnasiums.

Wie gesagt, diese Form der Bestrafung zeitigte ihre Ergebnisse, wenn auch nicht immer die gewünschten.

Am nächsten Elternabend erfuhren so die erstaunten Eltern, dass das Klassenbuch, sozusagen, das Symbol der Existenz der Klasse, verschwunden sei, vermutlich gestohlen und versteckt, um womöglich dunkle Geheimnisse vor der Außenwelt zu verbergen. Die Schulleitung zöge in Erwägung, das Buch bei Wiederauffinden eventuell polizeilich auf Fingerabdrücke hin untersuchen zu lassen, um dieses Rätsel zu lösen.
Unser Polizist, der seine Tochter sehr gut kannte, von ihrer Geburt an, dachte sofort in die richtige Richtung. Er begann, innerlich zu glucksen und beschloss, das Mädchen einer strengen Befragung zu unterziehen.
Dies tat er denn auch, ausgiebig. Schließlich brach die arme Delinquentin sozusagen zusammen.
Unter Tränen - ich verbürge mich nicht für deren Echtheit - beichtete sie ihrem Vater, das verdammte Klassenbuch nach dem Ende des Unterrichts einfach in ihre Tasche gepackt zu haben, anschließend mit dem Zug zwei Stationen weiter gefahren zu sein, nach Mengen, dort durchs Städtchen gelaufen zu sein, bis ans Ufer der Ablach, dieser aus dem Ort hinaus ins freie Gelände zwischen Wäldern und Wiesen gefolgt zu sein, um dann schließlich das corpus delicti an einem lauschigen Plätzchen den Wellen anvertraut zu haben. Schon die Wahl des Ortes ihrer Untat enthüllt uns völlig ihre niedere Einstellung und Gesinnung gewichtigen Dokumenten gegenüber.

Die Ablach ist ein kleines Flüsschen, das im Kreis Konstanz seinen Ursprung nimmt, u.a. das Städtchen Krauchenwies durchfließt, später dann in Form eines Kanals das Städtchen Mengen, um sich dann, wiedervereint und gottergeben in sein Schicksal fügend, in die Donau zu stürzen, in der Nähe von Blochingen.

Allein der Name Ab-lach hat etwas Abwertendes an sich, allein schon im Wortklang. Es erinnert ein wenig an Ab-fall, Ab-wesenheit, Ab-lauf, Ab-laufdatum. Alles passende Bezeichnungen, um ein störendes Klassenbuch dem Vergessen anheimfallen zu lassen.
So dachte und handelte auch des Polizisten Töchterlein.

Allein dem Vater gefiel dies überhaupt nicht. Und so dachte der sich sein eigenes weiteres Vorgehen in dieser Angelegenheit aus.

Am folgenden Morgen hielt sehr früh bereits ein Polizeiauto im freien Felde zwischen der Stadtgrenze von Mengen und der Donau, und ein Polizist lief, aufmerksam suchend, das Ufer ab. Er musste nicht allzu lange suchen.

So ändern sich die Zeiten: Parzival hat ein halbes Leben lang nach dem Heiligen Gral gesucht. Unser Polizist dagegen nicht einmal einen ganzen Vormittag nach einem schäbigen Klassenbuch.
Aber nach 2 Stunden wurden seine Mühen belohnt. Das Klassenbuch hatte sich auf seiner Reise über die Donau zum Schwarzen Meer in den Zweigen einer alten Weide, die ins Wasser der Ablach hingen, verfangen.

Und nun tat der Vater das einzig Richtige, was er tun konnte, Berufsethos hin oder her: Er nahm das Fundstück mit nach Hause, blätterte darin und las den gesamten Inhalt. Dann hängte er es auf zum Trocknen, und warf es dann durch das Schürloch in den Brenner der Zentralheizung, wo es sang- und klanglos, vor allem aber spurlos, verbrannte.

Seiner Tochter machte er nur einen einzigen Vorwurf. Wegen nur 12 Einträgen mache man keinen derartigen Aufstand, riskiere des Vaters Beruf, und somit die Existenz der ganzen Familie. Erst bei 20 Einträgen käme die Zeit, über geeignete Maßnahmen nachzudenken. Ein wenig sei er nun doch enttäuscht über das bürgerlich spießige und angepasste Verhalten seiner Tochter.

Er habe sie für gewiefter gehalten - und ihr weitaus mehr Verschlagenheit zugetraut!
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