Schlechte Karten für Männer

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Pinto
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Schlechte Karten für Männer

Beitrag von Pinto »

Nicht selten wird aus den unterschiedlichsten aber durchaus nachvollziehbaren Gründen versucht, bahnbrechende Forschungen und erst recht deren Ergebnisse vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.
Ich betone – man versucht es. Irgendwann sickert dann doch etwas durch. In wichtige Forschungsaufgaben sind meist so viele Leute eingebunden, dass allein schon deren Existenz eine Garantie für undichte Stellen ist. Und wenn erst die Journalisten-Meute ihre Witterung aufgenommen hat und sich ans Fährtenlesen macht, dann ... aber lassen wir das.

Ich möchte von einem Fall erzählen, der entgegen meiner soeben getroffenen Behauptung, bisher tatsächlich unbekannt geblieben ist. Oder haben Sie schon einmal etwas von dem „Dreifels-Grünbach-Projekt“ gehört? Nicht? Aber vielleicht sagt Ihnen der Name „Professor Alfons Dreifels“ etwas. Auch nicht?
Dieser Mann besaß eine Physikprofessur an einer namhaften Universität im Osten unseres längst wieder Einig-Vaterlandes. Nach der so genannten Wende verlor er jedoch seinen hoch dotierten Posten, weil der so unauffällige Professor als gefährlicher Stasi-Spitzel enttarnt werden konnte. Die Gauck-Behörde hatte ihm nach intensiver Akten-Forschung lückenlos nachweisen können, dass er der Stasi die natürliche Haarfalbe seiner damals wasserstoffsuperblondierten und einen bundesdeutschen Halbbruder besitzenden Sekretärin verraten hatte.
Dreifels zog sich daraufhin schmollend ins vorruheständische Privatleben zurück, um sich von nun an nur noch seinem zum Spleen gewordenem Hobby zu widmen. Er wollte unbedingt eine ZEITMASCHINE entwickeln. Natürlich drängt sich in diesem Zusammenhang der Verdacht auf, dass er lediglich nach einer Möglichkeit suchte, dem bewussten Stasi-Offizier auf die bedeutsame Frage nach der wahren Sekretärinnen-Haarfarbe ein standhaftes „Weiß ich nicht“ entgegen zu schleudern und somit das für ihn so leidige Problem aus der Welt der Gegenwart zu schaffen. Aber das ist nur so eine Vermutung von mir. Sie wird allerdings durch die Tatsache erhärtet, dass schon bald ein gewisser Doktor Grünberg zu Dreifels stieß.
Kai-Uwe Grünberg war als junger Doktorand an der gleichen Universität beschäftigt gewesen. Leider hatte er im Frühjahr 1989 den Fehler begangen, sich dem bekannten realsozialistischen Motto
„Bei uns kannst du werden, was du willst; ob du willst oder nicht!“
zu beugen und den urplötzlich vakant gewordenen Posten des Uni-Parteisekretärs anzunehmen. Pech!
Also besaß auch er triftige Gründe, ein wenig an der Vergangenheit herum zu manipulieren. Für Beide gab es demzufolge neben dem hehren Streben nach wissenschaftlichen Ruhm noch weitere Motive, um sich in dieses Projekt zu stürzen.

Kurz und gut. Mit diesem permanenten Motivationsschub im Rücken gelang es den beiden Physikern schließlich, ein Gerät zu entwickeln, das man getrost als Zeitmaschine bezeichnen darf.
Es kam der Tag, wo sie ihren Prototyp endlich einem praktischen Test unterziehen wollten. Man vermochte sich jedoch nicht gleich über ein Zieldatum für die Zeitreise zu einigen. Während Dreifels das Jahr 1979 - das war das Jahr, als er mit der Superblonden eine Affäre begonnen hatte – anvisierte, plädierte Grünberg dafür, erst zehn Jahre später in der Vergangenheit aufzukreuzen.
„Ich habe das Recht des Älteren“, beharrte Dreifels und schlug vor, erst einmal die leidige Stasi-Affäre aus der Welt zu schaffen.
„Nein, Alfons, das geht nicht. Wenn deine Stasi-Akten erst sauber sind, bleibst du ja im Amt. Du wirst dann keine Zeit mehr für die Entwicklung der Zeitmaschine aufbringen können. Es wird sie dann gar nicht geben und ich bleibe auf meinem Parteisekretär sitzen“, protestierte Grünberg.
„Interessant“, wusste Dreifels darauf nur zu antworten.
Und nachdem er die Furchen auf seiner Stirn erst waagerecht und dann senkrecht gestellt hatte, siegte die Fährnis des Forscherkollegen in ihm.
„Wahrscheinlich hast du Recht, Kai-Uwe“, sagte er. „Es ist ohnehin sehr verzwickt, sich in der Vergangenheit so zu bewegen, dass die Gegenwart nicht wesentlich verändert wird. Das bedarf wohl akribischer Vorbereitung. Weißt du was? Wir vertagen das noch und brechen zunächst erst einmal in die Zukunft auf. Einverstanden?“
Kai-Uwe Grünberg überlegte eine Weile, strich sich über den Bauchansatz und nickte schließlich.

Nur wenige Stunden später nahmen sie auf der Zeitmaschine Platz. Der mit so viel Ungeduld erwartete und mit knisternder Spannung vollzogene Start verlief reibungslos. Die zwei wendegeschädigten Wissenschaftler zischten ab in die Zukunft und... blieben seither verschollen.

Spätestens hier werden Sie, lieber Leser, sich mit Recht fragen, woher ich, der unbekannte Schreiberling, das alles wissen will. Doch glauben Sie mir – ich habe mir das wirklich nicht ausgedacht, nur um wieder eine meiner mittelmäßigen Geschichten ins Internet zu blasen oder gar einem Druckkosten-Zuschuss-Verlag anzudienen. Ich schwöre – ich besitze Beweise!
Woher? Nun, es war wohl reiner Zufall, dass ich eines Sonntag-Morgens ausgerechnet in meiner Garage - mein klappriger ‚Polo’ war gerade zu einer größeren Reparatur - ein merkwürdiges Vehikel entdeckte, das ich zunächst für ein liebevoll aufgemotztes „Duo“ hielt.
Ach so, sie wissen nicht, was ein „Duo“ ist. Nun, hierbei handelt es sich um einen dreirädrigen, klappverdeckten Versuch engpassgebeutelter DDR-Konstrukteure, ein Fahrzeug zu schaffen, mit dem man auch als Gehbehinderter seine Konsum-Brötchen im Nachbardorfes besorgen konnte. Eine Fahrrad-Rikscha mit Moped-Motor.

Und so etwas stand da nun in meiner Garage herum, und ich fragte mich natürlich kopfschüttelnd, wie es wohl dorthin gelangt sein könnte. Da mir ohnehin keine befriedigende Antwort einfallen wollte, stellte ich diese Frage noch zurück und begann, das Gefährt erst einmal zu untersuchen. Dabei wurde mir sehr schnell klar, dass es sich hier keinesfalls um das oben beschriebene Meisterwerk aus dem volkseigenem Betrieb „Simson-Suhl“ handeln konnte. Was ich auf den ersten Blick für Räder gehalten hatte, entpuppte sich als eine kompakte und in einem robusten Chassis verankerte, Schwungmasse. Der eher gebrechlich wirkende Aufbau stand dazu im krassen Gegensatz. Um den schmalen, gerade einmal zwei Personen Platz bietendem Sitz fand ich zahlreiche Geräte unterschiedlicher Größe und Form drapiert. Von ihnen zog sich ein chaotisches Kabelgewirr bis nach vorn zu einer Art Armaturenbrett, auf dem es vor Knöpfchen, Hebelchen und Lämpchen nur so wimmelte.
Irgendwie machte das Ganze einen recht unfertigen Eindruck auf mich. Aber das konnte ja auch täuschen. Mit solch technischem Kram kenne ich mich nicht sonderlich gut aus.

Nachdem ich das merkwürdige Gefährt dreimal ziemlich ratlos umrundet hatte, beschloss ich, meinen, in solchen Dingen wesentlich versierteren, Nachbarn zu alarmieren.
Doch just in diesem Moment fiel mein Blick auf etwas Helles, das zwischen Sitzbank und Lehne klemmte. Ein Buch! Ich nahm es zur Hand und blätterte ein wenig darin umher.
Nach den knappen Texten, den vielen Formeln und der Fülle an Konstruktionszeichnungen zu urteilen, handelte es sich wohl um die Betriebsanleitung für dieses Vehikel. Reinstes Fachchinesisch!
Als ich enttäuscht den Wälzer zurücklegte, flatterten plötzlich einige lose Blätter zu Boden. Während ich sie aufnahm und sie ein wenig zu ordnen suchte, überflog ich einige Zeilen. Ein freudiger Schreck durchzuckte mich. Diese Blätter gehörten gar nicht zu dem Buch. Was ich da in der Hand hielt, schien ein ganz gewöhnlicher Brief zu sein. Na bitte. Vielleicht fand ich jetzt Aufklärung. Ich ließ mich auf der unbequemen Sitzbank nieder und begann zu lesen:


Sonntag, den 15. Juni 144 nach CHRISSIE Geburt

Liebe Mona,

sei ganz herzlich gegrüßt.
Sicherlich wunderst du dich, weil ich dir so schnell nach unserem unverhofften Wiedersehen schreibe, aber sonntags ist die Gelegenheit dafür besonders günstig. Die Kinder sitzen in der Fernsehstube und schauen sich das Wochenendmärchen an. Ich habe nichts dagegen. Ich finde, zwei Stunden Fernsehen pro Woche dürften eigentlich keinen Schaden bei ihnen anrichten. Schließlich sind sie ja schon sechs und acht Jahre alt.

Kai-Uwe ist wieder einmal zu seinen Freunden gegangen. Ach – da fällt mir ein, du kennst ihn ja noch gar nicht. Als vor drei Jahren mein Leasing-Vertrag mit Martin auslief, hatte ich einfach keine Lust mehr auf eine Verlängerung. Nicht, dass ich es mit ihm satt gehabt hätte, aber ich war ganz einfach neugierig auf eine Veränderung. Kai-Uwe bekam ich übrigens recht preisgünstig. Als mich zum ersten Mal der leicht melancholische Blick seiner Braunaugen traf, flackerte sofort Interesse in mir auf. Er hat herrlich weiche volle Lippen und eine einschmeichelnde Stimme. Na ja, ein wenig kräftiger könnte er sein. Aber von der Größe her passt er gut zu mir und den kleinen Bauchansatz habe ich ihm bereits innerhalb der ersten drei Monate wegkuriert.
Ich kann also durchaus behaupten, eine gute Wahl getroffen zu haben. Das Preis-Leistungsverhältnis stimmt auf jeden Fall. Er besitzt eine solide Ausbildung, verfügt daher über ein ausreichendes Allgemeinwissen und hat immerhin vier Semester Hauswirtschaft studiert.
Wenn er nur nicht manchmal so verquer denken würde. Für meine Begriffe beschäftigt er sich viel zu sehr mit historischen Themen. Über die Zeit von vor CHRISSIE besitzt er erstaunliche Kenntnisse. Manchmal kommt er richtig ins Schwärmen und kramt Details hervor, dass man meinen könnte, er sei damals dabei gewesen.
Und er hat sogar Freunde in unserer Stadt gefunden, die sich von seinen Schwärmereien anstecken lassen. Vor einiger Zeit haben sie gemeinsam diesen komischen Automobilisten-Club gegründet. Seitdem hockt die Clique fast an jedem Wochenende in ihrer provisorischen Werkstatt. Ein wenig nervig finde ich dieses Hobby schon, aber ich muss zugeben, Kai-Uwe ist seitdem viel ausgeglichener als früher, wo er sich noch in diversen Handarbeitszirkeln herum trieb.
"Jetzt kann ich wenigstens so richtig kreativ sein", schwärmte er erst neulich wieder, und seine Augen haben dabei mehr geglänzt, als letzte Woche, wo ich ihm mein neues und total irres Dessous vorgeführt habe.
Tja, für seinen Club geht er völlig auf. Stell dir vor: da haben es diese Verrückten doch tatsächlich fertig gebracht, nur mit Hilfe einiger uralter Konstruktions-Zeichnungen eine wirklich funktionierende Benzinkutsche nachzubauen.
"Das heiß nicht Benzinkutsche, sondern Personenkraftwagen", hat mich Kai-Uwe belehrt und ganz tief Luft geholt.
Ich wusste, jetzt würde ein ermüdender Vortrag folgen und habe mich daher flugs in den Garten abgesetzt, um nach dem Gedeihen meines Gemüses zu sehen. Ja, die Ernte wird in diesem Jahr gut werden. Hattet ihr auch so ein optimales Wetter?

Doch zurück zu Kai-Uwe. Vor knapp drei Wochen kam er - später als sonst - aus dem Club, strahlte über das ganze Gesicht und umarmte mich mit einem Temperament, wie ich es seit Monaten nicht mehr erlebt habe. Der Grund? Sein Club hatte vom örtlichen „Rat der Vernunft“ doch tatsächlich die Erlaubnis erhalten, dieses mühselig zusammengebastelte Vehikel monatlich für drei Stunden in Betrieb nehmen zu dürfen. Ich möchte ja unsere Hüterinnen der Vernunft nicht unbedingt kritisieren, aber ich denke, eine Stunde hätte es auch getan.
Vor wenigen Tagen haben sich die vier Kerle dann zum ersten Mal in diese Blechkiste gepfercht und sind durch unsere Gegend gedröhnt. ‚Herrentagspartie’ haben sie das genannt. Mit dem Begriff wirst du nichts anfangen können. Es handelt sich dabei nämlich um so einen heidnischen Männerbrauch aus der Zeit von vor CHRISSIE, der durch den Club neuen Auftrieb bekommen hat.
Unser Regionalrat toleriert das Ganze. Man ist hier in der Provinz ohnehin sehr großzügig, was die Auslegung der Grundsätze weiblicher Vernunft angeht. Stell dir vor, jetzt überlegt man bei uns ernsthaft, ob man das Alter für wahlberechtigte Männer nicht von fünfundfünfzig auf sage und schreibe fünfundvierzig Jahre herab setzen solle. Natürlich hat das zu Pro-besten geführt. Ich bitte dich! Hast du je einen fünfundvierzigjährigen Mann erlebt, dem man bereits ein gewisses Maß an Erwachsensein bescheinigen kann? Dagegen spricht doch der durch nichts zu bremsende, männliche Spieltrieb.

Was die sich auch nicht alles ausdenken!
Kai-Uwe und seine Freunde haben beispielsweise vor kurzem ein uraltes Spiel - es stammt ebenfalls aus der unseligen Zeit vor CHRISSIE - wieder entdeckt. Da sitzen sie nun zu dritt um einen Tisch herum, jeder hat eine bestimmte Anzahl bunt bemalter Kärtchen in der Hand, die dann nach bestimmten Regeln nacheinander auf die Tischplatte geworfen werden. Schkaaat nennen sie das. Ich hätte ja nichts gegen derartige Beschäftigungen, aber ich musste beobachten, dass dieses heidnische Spiel durchaus aggressive Reaktionen auszulösen vermag. Und es scheint obendrein zum Trinken zu animieren. Ich bin mir nicht sicher, ob Kai-Uwe, wenn er vom Spielen nach Hause kommt, nicht doch hin und wieder etwas mehr als nullkommafünf Promille Alkohol im Blut hat.
Solche Spiele gehören verboten. Ist es dann ein Wunder, wenn die Männer immer rüpelhafter werden? Ihre Gewalt gegen Frauen hat zumindest bei uns erschreckend zugenommen. Stell dir vor – in unserem kleinen Ort mit nicht einmal zwanzigtausend Einwohnern gab es allein im letzten Jahr drei Verfahren gegen Männer, die ihre Besitzerinnen geohrfeigt haben. Und die Strafen? Lächerlich. Fünf Jahre Liebesentzug - davon drei Jahre auf Bewährung! Nur einer kam nicht so glimpflich davon. Wenigstens er bekam zwei Jahre Sicherheitsverwahrung, aber das auch nur, weil ihm nachgewiesen werden konnte, dass er zur Tatzeit die Nullkommafünf-Promille-Grenze überschritten hatte. Ich frage dich - müssen Männer erst so sturzbesoffen sein, um angemessen bestraft zu werden?

Manchmal habe ich richtige Angst, mein Kai-Uwe könnte in schlechte Gesellschaft geraten sein. Neulich erst hat er ziemlich aggressiv reagiert, mich böse angeknurrt und sogar mit den Türen geschmissen - nur weil ich ihm eine Woche Ausgangsverbot verordnet habe. Dabei war das noch äußerst milde. Oder würdest du es durchgehen lassen, wenn sich der Abwasch drei Tage in der Küche türmt? Und die Hausaufgaben der Kinder hatte er auch nur halbherzig kontrolliert.

Sonst ist Kai-Uwe ja ein wirklich netter Kerl. Die Kinder mögen ihn, und vor allem darüber bin ich sehr froh.
Sein neuer Job bei der Eisenbahn gefällt ihm auch. Man hat kürzlich eine vor fast zweihundertfünfzig Jahren stillgelegte Nebenstrecke wieder in Betrieb genommen, und ich besorgte ihm eine Stellung als Schrankenwärter. Seiner hohen Verantwortung ist er sich durchaus bewusst. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn er mal vergisst, die Schranke zu schließen. Es wäre ja durchaus möglich, dass gerade zu diesem Zeitpunkt ein Elektromobil den Schienenweg kreuzt. Anfangs hat er mich zwar mit seiner typisch männlichen Verbesserungsmanie genervt und etwas von einem Elektromotor gefaselt, den man an das Windwerk der Schranke basteln könnte, damit die lästige Kurbelei ....
Ich musste tatsächlich erst ein paar energische Worte verlieren, damit diese Spinnerei aufhörte.

Sein Job bringt ihm soviel ein, dass er problemlos seine Hobbys finanzieren kann. Und für unsere Urlaubsreisen kommt er auch auf. Für das kommende Jahr haben wir bereits achtzehn Wochen Kuba gebucht. Die meiste Zeit werden wir zwar auf dem Schiff verbringen, aber ich wollte schon immer einmal mit einem dieser Luxussegler reisen. Kai-Uwe hat allerdings Angst davor, seekrank zu werden. Jetzt hat er sich im Garten eine große Schaukel gebaut, wo er stundenlang das bauchkribbelnde Auf und Ab simuliert.

Tja - mit dem anderen Auf und Ab - im Bett meine ich - da hat er es nicht so. Na ja, es ist eben nie alles beisammen. Er hat sich von Anfang an etwas tollpatschig angestellt.
‚Ach’, dachte ich damals, ‚das wächst sich aus.’
Es ist ja eine Binsenweisheit, dass es nur sehr wenige Männer gibt, die jederzeit das richtige Gespür für das besitzen, was uns Frauen wirklich Spaß bereitet und was uns glücklich macht. Vielleicht habe ich ihn in den ersten Jahren mit meiner Nörgelei auch ein wenig verunsichert.
Eine Freundin, der ich davon erzählte, riet mir, ihn für ein Weiterbildungsseminar anzumelden. Das habe ich auch getan. Kai-Uwes Proteste hielten sich in Grenzen. Vielleicht waren sie sogar geheuchelt, denn mir fielen seine begehrlichen Blicke auf, mit denen er den Prospekt studierte.
Da wir zu diesem Zeitpunkt schon über zwei Jahre miteinander verbracht hatten, schickte ich ihn zu einem sechswöchigen Kurs für Fortgeschrittene. Das war wohl ein Fehler. Ich fing gerade an, seine Abwesenheit zu genießen, da stand er nach knapp vierzehn Tagen bereits wieder auf der Matte. Völlig zerknirscht murmelte er etwas von einer „mündlichen Zwischenprüfung“, bei der er durchgefallen sei. Ich habe lange gebraucht, um ihn moralisch wieder aufzupäppeln.
Na, was soll es. Dann bleibe ich eben bei biederer Hausmannskost. Rein zur Abwechslung lasse ich mir aber schon hin und wieder jemanden vom Exclusiv-Liebesservice schicken. Ist ja meist ganz nett, aber sauteuer.

Oh je - um CHRISSIE Willen! Wie die Zeit beim Schreiben verflogen ist! Ich muss Schluss machen. Gleich kommen Kai-Uwe und die Kinder, und wir wollen gemeinsam Kaffee trinken. Sonntags koche ich den nämlich.

Ach - ich wollte dir so viel erzählen, und nun habe ich fast nur über meinen Leasing-Mann berichtet. Na ja. Männer sind eben die aufregendste Nebensache der Welt.
Es war doch schon ein großes Glück für uns alle, dass sich damals - nach der Einführung des Matriarchats - die radikalen Chrissianerinnen politisch nicht behaupten konnten. Hätten sie sich mit ihrer Forderung durchgesetzt, Männer nur noch in streng limitierter Anzahl für Zuchtzwecke in geschlossenen Anstalten zu halten. Es wäre für uns Frauen ein zwar beschauliches aber doch recht langweiliges Dasein geworden. Ich glaube, die meisten von uns zahlen recht gern den Preis der ständigen Wachsamkeit. Und wenn sich jede Frau ihrer hohen Verantwortung bewusst ist und alles tut, um Politik und Gesellschaft von männlichem Gedankengut rein zu halten, dann wird uns die Gefahr einer Weltkatastrophe, der unsere Urgroßmütter im ersten Jahrhundert vor CHRISSIE nur ganz knapp entronnen sind, wohl auf ewig erspart bleiben.

In diesem Sinne möchte ich meinen Brief beenden und dir einen netten Restsommer wünschen. Bald hörst du mehr von mir.

Es grüßt dich in alter Freundschaft
Deine Susanne.


Ich ließ das letzte Blatt sinken und saß eine ganze Weile wie vom Donner gerührt, vom Blitz getroffen, zur Salzsäule erstarrt... Wenn Sie meinen Zustand nachempfinden wollen, dann suchen Sie sich eines dieser Klischees aus. Sie passen alle.
Wenn mir jemand versichert hätte, die Welt würde irgendwann in einer nuklearen Katastrophe enden oder einem ökologischen Kollaps zum Opfer fallen, wenn mir jemand das Schreckensbild von menschenfressenden Aliens vor Augen gehalten oder von der Machtergreifung geklonter Horden erzählt hätte – ich wäre unter gewissen Abstrichen bereit gewesen, zumindest die Möglichkeit eines solchen oder ähnlichen Desasters als real einzustufen. Aber das hier!
Und während ich so saß und einen Ölfleck auf dem Garagenboden anstarrte, spürte ich plötzlich einen leisen Kitzel kurz oberhalb der Leisten. Langsam stärker werdend, bemächtigte er sich des Bauchraumes, schoss in die Brust und bahnte sich schließlich machtvoll durch die Kehle seinen Weg nach draußen.
Ich lachte, dass die Garagenwände wackelten.
Leicht nach vorn gebeugt und die Hände auf die Magengrube gepresst, gab ich mich diesem Ausbruch hin. Die Lachsalven knallten gegen das Garagentor und wurden von dort mit einer Wucht zurück geworfen, unter der ich mich noch mehr verkrümmte. Dieser Ausbruch hatte etwas heiter Beklemmendes. Nur allmählich ebbte er ab. Das letzte Glucksen blieb in der Kehle hängen. Ernüchterung machte sich breit. Ich richtete mich auf, wischte mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht und spürte, wie wieder klares Denken in meinen Schädel einzog.

Zwar immer noch kopfschüttelnd, aber innerlich wieder gefasst, klemmte ich mir das „Handbuch“ und den Brief unter den Arm, verließ die Garage und schloss mich zwecks gewissenhaften Studium dieser Unterlagen für ein paar Tage in meiner Wohnung ein.
Nach einer knappen Woche stand mein Entschluss fest: „Ich reise in die Zukunft.“
Der Brief gab mir einen einigermaßen genauen Anhaltspunkt, in welche Zeit ich die Dreifels’sche Wundermaschine zu lenken hatte. Das Sterben der Eisenbahn-Nebenstrecken begann im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts. Und zweihundertfünfzig Jahre später musste ich ankommen. Ich – der Befreier der entmachteten und bereits degenerierten Männer. Ich werde meinen Kumpel Sven mitnehmen – ein Muskelberg, der sich im Schwertkampf und Karate genauso auskennt, wie im Umgang mit Schusswaffen. Wir werden diese erniedrigende Frauenherrschaft mit Stumpf und Stiel ausrotten. Mut, Tapferkeit und Härte, gepaart mit rational männlichem Denken werden dieses matriarchalische Gesellschaftssystem hinweg fegen.
Der Mann wird wieder zum Lenker ... doch.... wird er die Welt vor dem Untergang bewahren?
Schreiben ist Therapie. :)
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