Die Heldentat des kleinen Peter

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Michael
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Die Heldentat des kleinen Peter

Beitrag von Michael »

Peter - noch nicht mal sechs Jahre auf dieser Welt - viel zu klein und viel zu schmächtig für sein Alter - ist schon von Natur aus ein sehr ängstlicher Junge. Große Menschenansammlungen sind wahrlich nicht sein Ding. Gänge es nur nach seinem Köpfchen, würde er solch ein Gewusel am liebsten für immer meiden. Ungeachtet dessen sitzt er mit Vati und Mutti an jenem angenehm warmen Sommertag auf den ins Alter gekommenen hölzernen Bänken der Waldbühne, um die Kniffe des stolzen Zauberers zu bestaunen.
Der neugierige Junge schaut aufmerksam hin, besonders als ein Clown aus Luftballons so tolle Figuren, wie ein ulkiges Hündchen, ein drolliges Kätzchen und viele andere schöne Dinge macht.


Vorher wollte der Angsthase wieder einmal nicht mitkommen. Er hat sich ausgeweint, getobt, geschrien und dabei mit Händen und Füßen gerudert.
Doch dann ist es Mutti mit ihren starken einfühlsamen Worten, mit ihrer sprichwörtlichen Engelsgeduld doch noch gelungen, diesem kleinen Trotzköpfchen beizubringen, dass sich der Besuch dieses alljährlich stattfindenden Parkfestes auch wirklich lohnt.


Peter macht große Augen, die so hell leuchten, wie die gleißende Sonne an diesem wolkenarmen Nachmittag.
Diese kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als ein lustiger Jongleur Teller auf einem Stäbchen zum Rotieren bringt.
Das junge Publikum ist begeistert von den sich schwindelig drehenden Tellern. Alle klatschen Beifall - nicht ahnend, was da noch auf sie zukommen würde.
Einer der drei Künstler bewegt sich auf eine große Kiste zu.
„Na, was mag wohl in dieser Kiste wohl sein?”, ruft der Clown den Kindern laut zu.
„Eine Puppe, ein Fernseher, ein Sandmännchen, ein Auto!” schallt es aus den Mündern der Kinder.
Der Herr in gelber Hose, über der ein dunkelblaues Hemd mit dem dazu passenden gelben Schlips sitzt, lüftet nun das Geheimnis, indem er den Deckel nach oben klappt.
Erschrocken zucken einige Kinder zusammen, andere wiederum nehmen staunend zur Kenntnis, dass da plötzlich wie von selbst ein fetter Schlauch heraus gekrochen kommt.
Natürlich ist es kein Schlauch, erst recht kein harmloser, der im Garten zum Einsatz kommt.
Denn dieser hat nämlich nicht so ein fein gestricktes schuppiges Muster wie diese lange gelbe Python-Schlange.
Mit regem Interesse verfolgen die Kinder, wie geschickt sich das Tier über die Schultern der drei Künstler windet, die sich nacheinander in einer Reihe aufgestellt haben.
Plötzlich fragt der Dompteur überraschend:
„Wer von euch möchte die Schlange mal anfassen oder auch auf den Schultern haben?”
Fünf dieser Steppkes haben den Mut, einer hat es im letzten Moment doch noch anders überlegt.
Ängstlich ergreift er die Flucht.
Auch zahlreiche Jungen und Mädchen aus Peters Kindergarten tummeln sich auf dem Festgelände.
Jedoch hat keiner aus seiner Gruppe es gewagt, der Schlange Gesellschaft zu leisten.
Einige von besonderer Neugier besessene Erwachsene wollen natürlich auch wissen, wie sich so eine Python anfühlt.
Vati sowieso. Den kann ohnehin nichts so schnell aus der Ruhe bringen. Dass Mama jedoch den Mut besitzt, diesem ungewöhnlichen Tier einen Platz auf ihren Schultern einzuräumen, kommt selbst für Peter völlig überraschend. Sie hat nämlich wahnsinnige Angst vor Spinnen, obwohl diese eigentlich viel harmloser sind als Schlangen.
Mutti ist dennoch sichtlich erleichtert, als der Dompteur ihr dieses Reptil wieder abnimmt.
Sein Blick wendet sich von ihr ab. Neugierig schaut er nun in Peters ängstliche Augen.
„Möchtest du auch mal dieses Tier tragen. Brauchst keine Angst zu haben. Diese Schlange ist Kinder gewöhnt, die tut dir nichts.”
Spontan antwortet er mit einem langgezogenen Jaaaa.
Muti und Vati können es nicht fassen.
Hat vielleicht Mamas völlig unerwarteter Mut dieses unmissverständliche Ja erst möglich gemacht?
Behutsam lässt der Dompteur die Schlange auf Peters Schultern kurz ab. Er scheint dem Herzschlag nahe zu sein. Dieses entgeht den Assistenten nicht, die gekonnt den Schlangenkörper nach oben ziehen, sodass dieser beidseitig von der Schulter des Jungen ausgehend, eine Linie bildet. Nur die beiden Enden fallen wie schlaffe Elefantenrüssel in die Tiefe.
Vati greift sofort zur Kamera, um diesen genialen Moment für die Ewigkeit festzuhalten. Peters Aufregung legt sich in diesem Moment ein wenig. Jetzt bringt er es sogar fertig, die Schlange zu streicheln - ein sichtbares Zeichen des Vertrauens.
Dennoch ist er schon ein wenig erleichtert, als der Dompteur ihm wieder diese eigenartige Last von den Schultern nimmt.
„Warst sehr tapfer", sagt Vati und auch Mutti, die dem ängstlichen Jungen diese Heldentat wahrlich nicht zugetraut hätte, schließt sich dem an.
Peter strahlt über's ganze Gesicht. Er fühlt sich so, wie ein tapferer Krieger, dem es soeben gelungen ist, einen eigentlich unschlagbaren Feind in die Flucht zu schlagen.
Einen Feind besiegt hat Peter auf jeden Fall - diese unbeschreibliche Angst, die sich wie ein seidener Faden durch sein bisheriges junges Leben gezogen hatte.


Alle seine Weggefährten aus dem Kindergarten zeigen sich ihm gegenüber sehr aufgeschlossen. Einst wollte mit ihm keiner spielen. Von jenem denkwürdigen Tage an, sahen die anderen Kinder in ihm den Helden - einen, mit dem man plötzlich die verrücktesten Dinge anstellen kann.
Wer hätte das gedacht!
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