Der Zeithund

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missunderstood
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Registriert: Montag 26. März 2012, 21:54

Der Zeithund

Beitrag von missunderstood »

Ich schlenderte die Straße entlang. Es war lauwarm und die Dunkelheit hüllte die Welt in ein mysteriöses Schauspiel von Licht und Schatten. So mächtig wie sie waren, diese aufwendig beleuchteten Gebäude. Ein Kampf des Lichtes, Helligkeit ins Dunkle zu bringen. Doch die Finsternis saß unbeirrt über den Straßen, den Häusern und den Menschen.
Grelles, künstliches Licht traf von bunten Neon-Reklamen auf die Straße, machten die Nacht heller, als sie eigentlich zu sein schien und ließen den Lack den Autos im Vorbeifahren aufblitzen.
Ungewöhnlich viele Menschen liefen für diese Tageszeit hier draußen rum. Die einen huschten von einer Straßenseite zur anderen, liefen mit eiligen, schnellen Schritten vor mir her. Doch ich schlenderte weiter, ließ mich nicht beeindrucken von den hastigen Schritten der anderen. Und sonst war es ja auch ganz ruhig, wenn man sich nicht auf diese übereiligen anderen konzentrierte.
Als ich nach einiger Zeit am Bahnhof ankam, tummelten sich die Menschen in der eigentlich großen, aber jetzt doch eher klein wirkenden, kalten Bahnhofsvorhalle. Eine Schar von fast ausschließlich schwarz, grau und braun gekleideten Leuten. Waren das die Trend-Farben dieses eher trägen, regnerisch- fahlen Sommers?
Mein Blick streifte eine ältere Dame, sie lief gebückt, zitternd ihren Stock haltend und wünschend, wie ein junges Reh, durch das Leben zu tollen. Doch umso schneller die Zeit vergeht, desto größer der Verfall ihres Körpers, der es sichtlich schwer hatte, dem Ansturm der Menschenmasse nicht zu erliegen. Ihr Gesicht wahrte den Schein der Jugend, doch ihre Augen schrien nach Hilfe für ihre arme Seele. Verdammt scheint sie, zu alt zum leben ohne Hilfe, zu jung zum Sterben.
Plötzlich ein Stoß in meine Rippen, ein Rempler von der Seite, es reißt mich aus meinen Gedanken.
Unruhe kommt in mir auf, will mich ungehindert fortbewegen, aber kann es nicht. Allmählich wird es eng, sehr eng. Ich drückte mich vorbei, an viel zu prall gefüllten Rucksäcken, an gebannt, scheinbar nur noch funktionierenden Körpern, die Treppe hinauf. Auf der Rolltreppe neben mir, standen die Leute in Reih und Glied hintereinander, ließen sich tragen, rührten sich nicht, unselig und starr waren ihre Augen auf den Vordermann gerichtet. Sie sahen aus, als berührte es sie kein Stück, diese Hektik, dieses Tempo um sie herum. Als sei es selbstverständlich, immer in Eile zu sein, als sei es normal, hibbelig umherzulaufen und den Blick stetig auf die Uhr gerichtet zu haben. Was wäre aber nur, wenn man ihnen die Uhr nehmen und ihnen freie Zeit schenken würde? Würden sie wissen, etwas damit anzufangen?
Endlich war ich oben angekommen, am Ende der steinernen Treppe, dem Anfang des Bahngleises. In der Hoffnung, auf dem Gleis Leere und Luft zum atmen zu finden, stolperte ich durch die Schiebetür, direkt in eine weitere Menschenmasse. Unzählige, ungeduldige, rastlose Körper. Endlos wartende Seelen, alle in diesem so unscheinbaren grau gekleidet. Sie standen da, so voller Erwartung, ihr Antlitz erfüllt mit Hoffnung, auf den Zug wartend.
Ich quetschte mich durch kleine Grüppchen und blieb an einem kleinen etwas freiem Plätzchen stehen. Und im selben Moment ließ der Lärm der Umgebung, mich nicht einmal mehr meine eigenen Gedanken verstehen. Die Menschen redeten, lachten, die einen waren besoffen und grölten, und andere versuchten sich in dieser unangenehmen Gegebenheit abzulenken. Aus den Lautsprechern war nur eine dumpfe Stimme zu vernehmen, nicht aber zu verstehen, was sie überhaupt mitteilen wollte.
In rauschender Geschwindigkeit kam der Zug über das Gleis, an den Bahnsteig gefahren. Der Wind pfiff mir durch die Ohren und wirbelte meine Haare in alle Himmelsrichtungen. Die Menschen, drängten sich an meinen Rücken, standen direkt hinter mir. Andere stellten sich vor mich.
Die Türen des Zuges sprangen auf und die Menschen quetschten sich hinein, ohne aufeinander Rücksicht zu nehmen. Die Gier nach einem Sitzplatz für ein paar Stationen, trieb sie. Die Angst, sie könnten die letzten sein die in den Zug steigen, jagte sie durch die Wagons. Als das Gedränge nicht mehr so groß und dieser unerträgliche Kampf verebbt war, stieg auch ich in den Zug.
Hier war es noch enger, noch stickiger, noch ungemütlicher. Vorrüber laufende Menschen, auf der Suche nach vielleicht dem einen letzten Platz, kreischende Kinder und tratschende Teenys drückten mich an die Fensterscheibe, an der ich stehengeblieben war. So gut ich konnte, sah ich mich um. Die Menschen wirkten in diesem kleinen, so unnatürlich beleuchteten Raum noch viel müder. Viele der Gesichter waren runzelig gealtert und ihre Augen warfen nur schwere Blicke auf ihre Umgebung. Sie alle waren getrieben durch die rasende Zeit, welche sich keine Pause gönnt. Gegen sie wirke ich in der Geschwindigkeit träge, impulsiv glaube ich manchmal mich anzustecken, ja mich vorantreiben zu lassen von der Zeit, welche zu gerne den Schäferhund spielt.

Ich drücke mich erschöpft aus meiner aufgezwungen Nische- endlich kann ich aussteigen.
Ein hoher Ton ertönt und die Türen öffnen sich, mit einem großen Schritt, stand ich wieder auf festen Boden und ging mit direkten Schritten aus dem Bahnhof heraus. Ich sah um mich, warf einen irritierten Blick zurück, durch den Bahnhof auf das Gleis, auf dem ich den Zug noch immer stehen sehen konnte. Dann holte ich tief Luft und ging erleichtert, den so vertrauten Weg nach Hause. Schlenderte viel mehr, denn ich beschloss, die Zeit von der Leine zu nehmen und den so verspielten Schäferhund einfach mal umherlaufen zu lassen, schließlich wird auch dieser- der Zeithund- auch nur von uns, von uns Menschen umher gejagt…
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