Schatten

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Jiroh
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Registriert: Freitag 18. April 2014, 14:54

Schatten

Beitrag von Jiroh »

Diese Fantasy Kurzgeschichte ist Teil einer größeren Geschichte (die noch nicht fertig geschrieben wurde). Es handelt sich somit bei dieser Kurzgeschichte um eine Art "Kapitel" mit offenem Schluss:
http://jirohwindwalker.blogspot.co.at/2 ... titel.html

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Das letzte Licht der hereinbrechenden Abenddämmerung fiel auf schroffe Felsen, die das Tal zu einer nahezu undurchdringlichen Wildnis aus Stein machten. Am Fuß der langgezogenen Schlucht sammelte sich Wasser aus zahlreichen Sturzbächen in einem gemächlichen Fluss, der von dichten Wäldern umrahmt nur durch sein leises Gurgeln auf sich aufmerksam machte, das an den steinernen Wänden widerhallte.

Inmitten dieser rohen Schönheit stand ein einzelner Fels, dessen Spitze nicht mit von Wind und Wetter geformten Steinriesen endete, sondern eine bescheidene Kirche beherbergte. Erbaut auf jahrhundertealten Steinmauern, von gelegentlichen hohen Bögen durchbrochen, thronte das Gebäude in einer Atmosphäre von Stille und Einsamkeit. Die hellen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten die alte Kirche in ein warmes Licht und verliehen ihr damit eine heimelige Wärme inmitten des unwirtlichen Tals. Eine Atmosphäre, die das Hereinbrechen der Nacht unweigerlich zu Grabe tragen würde.

Schmale Stufen, in der steilen Felswand kaum zu erkennen, führten aus den Tiefen der bewaldeten Schlucht in einem sanft ansteigenden Kreis um den Fels in Richtung des mystischen Gotteshauses mit seinem beinahe unwirklich anmutenden Glockenturm. Zwei in dicke Mäntel gehüllte Gestalten erklommen die Stufen hastig, zweifellos hoffend, ihr Ziel noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen.

„Bist du sicher, dass dort oben niemand ist?“, flüsterte der junge Mann und griff nach dem Mantel seines Begleiters, um ihn zurückzuhalten. Seine Hand wurde ungeduldig weggeschlagen.
„Wie oft muss ich es dir noch sagen? Dort oben ist niemand. Es ist ein verfluchter Ort, der von Menschen und Schatten gemieden wird“, antwortete der drahtige Wanderer gereizt. Wenn sie noch weitere Pausen einlegten, um immer dieselben Argumente zu wiederholen, würden sie es nie rechtzeitig auf den Gipfel schaffen. Er blickte zu dem Jungen hinter sich und forderte ihn mit einem Nicken auf, weiterzugehen. Sein Begleiter wirkte wenig begeistert.
„Ich vermute er wird aus gutem Grund gemieden. Ich finde, wir sollten mit dieser Tradition nicht brechen“
Jiroh sparte sich eine weitere Antwort und erklomm hastig die rauen Steinstufen. Rechts von ihm fiel der Fels steil hinab und endete irgendwo unterhalb der Bäume, welche die Sicht auf den Grund des Abhangs verdeckten. Ihre Verfolger befanden sich zweifellos bereits ganz in ihrer Nähe und warteten im Schutz des dichten Waldes auf eine Gelegenheit zuzuschlagen. Nur die einsamen Kirchenmauern mit ihrer schrecklichen Vergangenheit schienen Jiroh einigermaßen Schutz vor den Gefahren der Nacht zu bieten. Er hoffte inständig, dass die Tore der Kirche für sie offen standen – und dass die alte Kirche noch Tore besaß, die man verbarrikadieren konnte!

Die rosa aufleuchtenden Wolken verdunkelten sich langsam und die untergehende Sonne ließ den leeren Vorhof der Kirche in Finsternis versinken, als Jiroh und sein Freund Aran den Gipfel erreichten und auf das verfallene Gebäude zueilten. Trotz des schlechten Zustandes der Mauern war die Kirche intakt. Das große Holztor gab ächzend unter Jirohs Armen nach und das Innere der Kirche öffnete sich vor den beiden Flüchtigen wie der dunkle Schlund eines riesigen Ungeheuers. Aran schüttelte den Gedanken rasch von sich und warf einen letzten Blick auf den terrassenförmigen Hof. Mit Schaudern fürchtete er, jeden Moment dunkle Schatten auftauchen zu sehen, die, aus der Tiefe kommend, über die bröckelnde Brüstung kletterten. Er warf die Tür hinter sich ins Schloss und ließ sich erschöpft zu Boden sinken. Seine Augen hatten sich noch nicht an die völlige Dunkelheit angepasst, doch hörte er rasche Schritte auf sich zukommen und wich instinktiv zur Seite, als ein großes Holzstück neben ihm zu Boden fiel.

„Hilf mir die Tür zu blockieren. Hier sind noch Holzbänke, die noch nicht völlig zerfallen sind. Stapel sie vor dem Tor übereinander.“ Jirohs Stimme klang erschöpft doch bestimmt. Aran überging das mulmige Gefühl, das ihn in diesem hohen Raum überkam, dessen Innenleben er in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Lediglich der modrige Geruch wies darauf hin, dass irgendwo Holzbänke stehen mussten. Vorsichtig tastete er sich voran und stolperte über eine Bank, die offensichtlich nach vorne gekippt am Boden lag. Er packte sie und trug sie langsam zurück zum Tor, wo Jiroh bereits eine zweite Bank über der ersten platziert hatte.
Aran ließ sich müde auf die Bank fallen, die er – nicht ohne Hintergedanken – mit der Sitzfläche nach oben vor das Tor gestellt hatte. Jiroh gesellte sich schwer atmend zu ihm und zog seine Beine an sich, die Ellbogen auf den Knien ruhend. Arans Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und er starrte Jirohs Profil an, ehe sein Blick über den hohen Raum mit den gotischen Glasfenstern strich, die sich nachts als graue Flächen von den tiefschwarzen Mauern abhoben.

„Und was jetzt?“, flüsterte er schließlich.
„Warten.“ Jiroh vergrub sein Gesicht in seinen Armen. Aran konnte nicht erkennen, ob er versuchte einzuschlafen oder geräuschlos in seinen Ärmel weinte. Er hatte Jiroh noch nie weinen gesehen und es schien ihm unwahrscheinlich, dass er ausgerechnet jetzt damit anfing. Er stieß ihn auffordernd in die Seite.
„Warum sagtest du, ist dieser Ort eigentlich verflucht?“ Seine Stimme war so leise, dass nur Jiroh ihn hören konnte. Der schlaksige Junge saß bewegungslos, doch ehe Aran seine Frage wiederholen konnte antwortete er leise.
„Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass niemand weiß wer die Kirche gebaut hat. Sie war immer schon hier, solange sich unser Volk erinnern kann. Die Erbauer sind vermutlich vor irgendetwas oder irgendjemandem geflohen oder alle gestorben. Daher stammt die Legende des Fluchs. Unsere Leute haben diesen Ort immer gemieden.“ Aran nickte interessiert.
„Welcher Gott wurde hier angebetet?“, stochert er weiter. Jiroh warf rasch seine Arme um Aran und bedeckte seinen Mund mit einer Hand, den Kopf seines Freundes auf das Kirchenschiff richtend, wo ein menschlicher Umriss vor einem der Fenster auftauchte. Waren die Fenster eigentlich noch intakt oder war das Glas schon längst zerbrochen? Entsetzen erfasste Aran, als er sah, wie die Gestalt ins Innere der Kirche kletterte und in der Dunkelheit verschwand. In derselben Dunkelheit, in der er mit seinem Freund in der Falle saß. Jiroh presste seine Handfläche kurz fester auf seine Lippen, um ihn zu erinnern, nicht zu sprechen. Dann ließ er seine Hand sinken und griff nach dem Dolch an seinem Gürtel, den er geräuschlos aus der Scheide zog. Aran spürte den Puls an seiner Schläfe pochen. Eiskaltes Entsetzen packte ihn.

„Kinder des Berges, fürchtet euch nicht“, raunte eine heisere Stimme aus der Dunkelheit vor ihnen. Ein heller Lichtschein durchbrach die Dunkelheit und die Gestalt legte drei leuchtende Steine vor Jiroh auf den Boden. Das Gesicht des Fremden wirkte angespannt, doch nicht feindselig. Die roten Tätowierungen, die sich von seinem Hals über seine Wange schlängelten verliehen ihm dennoch ein angsteinflößendes Aussehen. Er schloß die Augen und seufzte. „Moru schickt mich zu euch.“

Jiroh sprang wütend auf und näherte sich dem Eindringling mit erhobenem Dolch. „Sprich nicht über Moru als sei er dein Freund! Ihr habt ihm sein Leben gestohlen!“
Der Fremde hob die Handflächen als Friedenszeichen und trat einen Schritt zurück. „Moru hat dafür gesorgt, dass ihr nach Hause zurückkehren könnt, ohne von meinem Volk gejagt zu werden.“ Er deutete auf das hohe Tor hinter ihnen. „Er ist hier. Du kannst mit ihm sprechen.“
Geräuschlos verschwand der geheimnisvolle Bote wieder in der Dunkelheit. Aran ergriff Jirohs Arm, um den Jungen aus seiner Starre zu befreien. Er erblickte Jirohs glasige Augen in der Dunkelheit und erschauerte. „Du glaubst ihm?“
Aran konnte die Gedanken seines Freundes förmlich hören, als dieser die Augen schloss und den Kopf senkte. Jirohs Zerrissenheit ängstigte ihn mehr als seine eigene Hilflosigkeit. Ohne Vorwarnung wirbelte Jiroh herum, steckte die Klinge weg und kämpfte sich hastig durch die übereinandergestapelten Bänke zum Tor. Aran half ihm, das schwere Holztor zu öffnen, das ächzend den Blick auf eine von zahlreichen Fackeln erhellte Szenerie freigab.

Vermummte Gestalten standen in einem Halbkreis vor ihnen. Einer der Fremden trat vor. Halbnackt und zitternd, mit unsicherem Gang, sank er schon nach wenigen Schritten auf die Knie und stützte sich mit einer Hand am Boden ab. Aran blieb wie angewurzelt stehen. Er fühlte sich wie eine Maus im Angesicht eines Falken, während ein Dutzend Augen auf ihm ruhten.
„Moru! Oh, Moru!“, Jiro kniete sich vor die Gestalt am Boden, umfasste den Hals des Mannes mit seiner Hand und berührte zärtlich seine Stirn mit seinen Brauen. Aran erkannte im Licht der Fackeln, dass der Mann tatsächlich Moru war. Der selbe Moru, der ihn einst gelehrt hatte Wasserbeeren zu ernten und Bergdrosseln zu jagen. In einer anderen Welt, vor langer Zeit. Jirohs Gesicht war von Tränen durchnässt, während er den Kopf an die Stirn seines Gefährten presste.
„Jiroh…“, Moru’s blutgetränkte Augen suchten Jirohs ziellosen Blick. Moru hob das Kinn des Jungen und sah ihm in die Augen. Das bleiche Gesicht des Mannes hatte nur wenig mit Jiroh’s Gefährten gemein und dennoch waren die Züge vertraut. „Jiroh.. bitte geh nach Hause.“
„Wie könnte ich dich zurücklassen? Wir sind soweit gekommen. Ich gehe nicht ohne dich.“ Der Junge schluchzte bitterlich.
„Irdri braucht dich. Du musst jetzt auf sie aufpassen.“ Er führte seine Lippen an Jirohs Ohren. Diese Worte waren nur für ihn bestimmt. „Versprich mir, nachts niemals dem Ruf eines Sternenhundes zu folgen. Sie holen nur die Unvorsichtigen, die sich vom Dorf entfernen.“
Jiroh nickte zögernd. „Bitte komm mit uns. Bleib nicht hier bei diesen Schatten“, flüsterte er unter Tränen. Moru blickte zu Boden. Die Hand mit der er sich auf der Erde stützte, war bereits von zahlreichen Tätowierungen gezeichnet. Einem seltsamen Muster folgend schlängelten sich die unnatürlichen Formen über seinen nackten Oberkörper und endeten auf seiner rechten Wange.
„Ich kann nicht mit dir gehen. Meine Erinnerungen verblassen mit jeder Stunde. Aber jetzt werden sie dich und Aran noch unbeschadet gehen lassen. Sie haben es versprochen…. sie haben es versprochen.“ Moru senkte müde den Kopf. Jiroh erkannte die Bissmale auf Morus Genick und erzitterte beim Anblick der kleinen rote Punkte, durch die das Gift der Schatten in seinen Körper gedrungen war.
Aran trat langsam hinter Jiroh und legte eine Hand auf seine Schulter. Die Schatten hatten hinter Moru eine Passage in ihren Reihen freigegeben, die zu den Stufen des Berges führte. Jiroh erkannte das Angebot und schloss die Augen. Er musste eine Entscheidung fällen.

Langsam erhob er sich und nahm Arans Hand von seiner Schulter. Seine Augen blickten gebannt auf den schmalen Durchgang in die Freiheit, umgeben von den unwirklich anmutenden vermummten Schatten, die ihn interessiert beobachteten. Sein Blick war kalt und leer, als er seinen Dolch langsam aus der Scheide zog.
„Aran, lauf“, knurrte er. Sein Ton ließ keine Widerrede zu. So sehr Aran sich Jiroh an seiner Seite wünschte, fügte er sich doch und glitt vorsichtig an den Schatten vorbei. Ehe er die Stufen hinab lief, suchte er Jirohs Augen und deutete mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Jiroh blickte entschlossen zu Boden und Aran verschwand aus seinem Blickfeld. Er hatte nicht vor, denselben Weg zu gehen.

Eine Hand auf seinem Arm befreite Jiroh aus seiner Starre. Moru sah ihn flehend an.
„Bitte…“ Seine Tränen hinterließen rote Bahnen auf seiner Wange. Jiroh kniete sich zu ihm und hob den Kopf seines Gefährten, um ihm ein letztes Mal in die Augen zu sehen. Sanft berührte er Morus Lippen mit seinem Mund. „Ich lasse dich niemals zurück.“
Mit der Geschmeidigkeit eines Raubtieres sprang Jiroh auf die Beine, entblößte den gezogenen Dolch und stürzte auf die umstehenden Gestalten zu. Die Schatten hatten seinen Angriff erwartet und warfen ihn mit einem Schlag gegen die Brust zu Boden, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Klirrend fiel der Dolch zu Boden. Unzählige Körper umringten ihn und hielten seine Hände und Füße fest, bis Jiroh nur noch ein verschwommenes Gewirr aus grauen Mänteln vor seinen Augen wahrnahm, das sich schließlich teilte, um einer grässlichen Kreatur Platz zu schaffen, die einem von Haut und Muskelfasern spärlich überzogenen Skelett ähnlich sah. Die messerschaften Zähne in seinem Mund leuchteten im Schein der Laternen wie ein Satz frisch geschliffener Messer.

Jiroh spürte den Biss an seinem Hals nicht. Sein letzter Blick galt Moru, der sich unweit von ihm entfernt am Boden wand und seine Hand nach Jiroh ausstreckte. Eine Geste, die Jiroh jegliche Angst und Zweifel nahm. Er hatte Moru gefunden. Seine Reise war zu Ende. Nun würde er mit ihm vereint sein, wenn auch nicht auf die Weise, die er sich zu Beginn seiner Reise erhofft hatte. Das Gift in seinem Körper ließ seine Muskeln erschlaffen und seine Lider wurden schwer. Er nahm das blutüberströmte Maul des Monsters ebenso wenig wahr, wie die Hände, die ihn anhoben und seinen Körper aus dem Vorhof der verfallenen Kirche trugen. Sein Geist verlor sich in der Dunkelheit der Nacht, die selbst durch die Fackeln der Schatten nicht mehr erhellt werden würde.
Oh, Moru, was ist nun aus uns geworden? Möge Aran den Weg nach Hause finden und uns vergessen, denn wir sind verdammt…

© Copyright 2014, Jiroh Windwalker
Silente2
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Registriert: Freitag 13. Dezember 2013, 21:26

Re: Schatten

Beitrag von Silente2 »

Sehr spannend und lässt sich in meinen Augen phänomenal ausbauen. Sehr schöner Stil auch. Viele Details, aber nicht erschlagend überladen. Ich hoffe wirklich, da kommt noch mehr.
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