DIE RACHE DES HEILIGEN ANTONIUS

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heuberger
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DIE RACHE DES HEILIGEN ANTONIUS

Beitrag von heuberger »

SPÄTE EINSICHT BESTRAFTER ARROGANZ


Immer, wenn etwas verlegt wird oder gar verloren geht, gab und gibt es, neben der anstrengend faden Möglichkeit des intensiven Suchens, auch die der magischen, romantisch-mystischen Delegation des ganzen Anliegens an überirdische Berufene, an vornehmster Stelle an den Heiligen Antonius.
So habe ich es als Kind bei meinen Nachbarsleuten, insbesondere den weiblichen, als selbstverständliche Übung, des öfteren erlebt.
Als „guter“ Protestant tat ich diesen Brauch in selbstherrlichem Besserwissen als halbheidnische Tradition halbgebildeter altbackener „Altgläubiger“ ab, und ergötzte mich dafür mehr an der Schilderung einer lieben Kommilitonin, sie habe in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei einer Tanzveranstaltung infolge allzu heftigen Tanzens eine ihrer neuen und damals noch sündhaft teuren Kontaktlinsen verloren. Irgendwie war es ihr dann jedoch gelungen, sämtliche mittanzenden Paare zu bewegen, sich auf alle Viere niederzulassen und gemeinsam, auf Knien rutschend, den Tanzboden nach der verlorenen Kontaktlinse abzusuchen. ( Man stelle sich das mal bildhaft vor.) - Diese Suche wurde denn auch schließlich von Erfolg gekrönt, die Kontaktlinse wurde gefunden, geborgen, gewaschen, wieder eingesetzt, und die Veranstaltung konnte fröhlich fortgesetzt werden.
In all dieser Gewissheit der normalen Kausalitätszusammenhänge ließ es sich wohleingerichtet bequem leben, und so dümpelte ich, geistig In trügerischer Sicherheit, vor mich hin. Was könnte denn schon eine derart fest gegründete und einleuchtende Weltsicht erschüttern?
Daher nahm es mich dann doch etwas wunder, als meine Mutter mich eines Tages bat, sie nach Saulgau zur Antoniuskirche zu fahren.
Dort wolle sie dem Heiligen 10. - DM in das bereitgestellte Kässchen zu Füßen seiner Statue werfen. Auf meine Nachfrage, ob ich richtig gehört hätte, gab sie mir nur leichthin die Antwort, sie habe es dem Heiligen Antonius so versprochen.
Da machte ich mir dann doch ernsthaft Sorgen über ihren Zustand. Denn ich kannte sie nur als wackere Rationalistin, sozusagen ein unerschütterlicher Fels der Aufklärung in der rollenden Brandung des Aberglaubens.
Und nun das!
Aber sie konnte mich beruhigen und erklärte: Ihre Katze war bereits eine Woche lang verschwunden, und da wollte ihre Nachbarin sie in ihrem Jammer trösten und riet ihr, dem Heiligen Antonius einen kleinen Geldbetrag zu versprechen, wenn er ihre verschwundene Katze wieder auf den rechten Weg - zu ihr - zurückführte. Bei jener Nachbarin würde das immer helfen.
Gesagt, getan – und ausgeführt, getreu der Erkenntnis: schaden kann´s nicht, und in der Verzweiflung greift der Ertrinkende nach jedem Strohhalm! Und außerdem: allzu teuer wird´s ja wohl auch nicht. ( Immerhin war man ja im Schwabenland; dort werden die Kosten jeder Ausgabe zuerst im Geiste überschlägig berechnet, auch von "Rei´gschmeckten", bevor sie getätigt wird. )
Jedenfalls saß die so schmerzlich Vermisste am nächsten Morgen wieder fröhlich miauend am Küchenfenster. Also fuhr ich das liebe Mütterlein nach Saulgau, sie brachte ihren Tribut dem Heiligen dar, und beide waren sie´s zufrieden.
So ging das über eine längere Zeit hinweg, die Katze verschwand, die Mutter versprach dem Heiligen, der half , die Katze kehrte wieder, und Mutter „blechte“. Und Beide lebten sie in gewohnter Wiederkehr der Dinge still und zufrieden vor sich hin. Aber auf Dauer konnte sowas ja nicht ungetrübt gutgehen.
Eines Tages kam die Mutter leicht verärgert aus der Antoniuskirche und sagte: „heute habe ich ihm nur 5. - DM gegeben. Der Strietzi hat mich beschissen!“ Und dann platzte es aus ihr heraus, dass der Heilige ihr eine ganz andere, fremde, Katze geschickt hatte. Als aber ihre eigene nach einiger Zeit dann doch wieder auftauchte, ließ sie sich allmählich wieder beruhigen.
Schließlich versuchte auch ich es mal auf diese Weise. Und siehe, es klappte.
Man konnte sich direkt daran gewöhnen, es war so wunderbar bequem. Sei es nun ein verlorener Schlüssel, oder ein verlegtes Buch, der Heilige brachte alles brav wieder. Das nahm manchmal geradezu groteske Züge an. So fehlte mir einmal zwei Tage lang der Hauptschlüssel zu einer Schultüre. Es handelte sich dabei um den Schlüssel zu einer Schließanlage. Diese hätte bei Nichtwiederfinden komplett ausgetauscht werden müssen. Eine sehr teure Angelegenheit! Also bat ich den Heiligen Antonius, mir diesen Schlüssel wiederzubringen und fuchtelte dabei dramatisch mit den Armen herum.
Und – o Wunder! – etwas fiel aus meinem Ärmel klingelnd auf den Boden und klimperte dort noch ein Weilchen.
ES WAR DER VERSCHWUNDENE SCHLÜSSEL.
Ich hatte sozusagen die Lösung meines Problems aus dem Ärmel geschüttelt. Was für ein „Schlüsselerlebnis“!
Zum Glück war ein Kollege mit dabei. Der schnalzte anerkennend mit der Zunge. Womöglich dachte er bei sich, ich hätte das alles inszeniert gehabt. Aber dem war nicht so, wirklich!
Und so versuchte ich (Protestant) meine katholischen Kolleginnen und Kollegen von den frappierenden Fähigkeiten des Heiligen Antonius zu überzeugen, getreu Luthers Feststellung: Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über. – O verkehrte Welt ! - Aber jahrhundertelange reformatorische und sonstige aufklärerische Zurechtweisungen trugen jetzt doch ihre Früchte: Die Kollegen lächelten mich nachsichtig an und gingen ihrer Wege.
Eines schönen Tages brachte ich einen damals völlig neumodischen Batteriewecker mit digitaler Anzeige mit in die Schule, damit ich mich künftig genauer an die Dauer der Unterrichtsstunden halten konnte. Es war ein wunderbares Stück: Quadratisches Gehäuse, schwarz, echt Plastik. Mittendrin das Anzeigenfenster.
Zwei Tage später präsentierte mir ein Kollege stolz seinen neuen Wecker, von exakt der gleichen Bauart.
Und dann geschah es.
Plötzlich war mein Wecker verschwunden, und blieb es auch. Ein paar Tage später fehlte auch der des Kollegen. Und wieder wurde der Heilige Antonius aufgefordert, sein Werk zu tun, diesmal von uns beiden.
Drei Tage lang geschah nichts. Aber am vierten Tag stand mein Exemplar völlig unschuldig in einem Regal im Kopierraum und lachte mich blinzelnd an. Ich erkannte es wieder an den von mir persönlich eingeritzten Initialen. Der Wecker des Kollegen tauchte am nächsten Tag wieder auf. Wir freuten uns beide, zusammen mit den Kindern unserer Klassen, denen diese Vorgänge natürlich auch nicht verborgen blieben.
Am folgenden Morgen ging ich wieder in den Kopierraum. Und, was stand da glänzend und strahlend im Regal und grinste herausfordernd frech und unverschämt?
- Richtig! - ein weiterer Wecker, genau wie die beiden anderen, allerdings ohne Kennzeichnung.
Etwas verwirrt ging ich damit von Klasse zu Klasse und fragte Schüler und Lehrer. Aber niemandem gehörte er.
So ganz langsam krochen eine eisige Kälte und Erstarrung und Entsetzen in mir hoch, und es dämmerte eine furchtbare Erkenntnis, die direkt in das Grauen führte: In was für einen schauerlichen Abgrund unserer Existenz in einer dehnbaren Realität hatte ich da geblickt? Zwei Wecker gingen verloren und drei fanden sich wieder ein.
Bis heute weiß ich nicht, ob sich da jemand einen Scherz mit uns erlaubte, oder ob dies ein Hinweis darauf ist, dass unser Begriff der Wirklichkeit nur eine Art Hologramm darstellt vom Ereignishorizont am Rande eines expandierenden Universums, denn dieser ganze Vorfall „stinkt“ geradezu nach Quantenphysik. (Toll formuliert, gelle?)
WAS IST „REALITÄT“?
Auf jeden Fall bitte ich heute den Heiligen Antonius nicht mehr so exzessiv häufig um seine Hilfe.
Und sollte bei Euch mal ein überzähliger Wecker auftauchen oder etwas Ähnliches, was ist das dann wohl? - Na? - RICHTIG!
Und Ihr wisst dann auch, wem Ihr diese Bescherung zu verdanken habt.

P.S.: Wie ich heute erfuhr, hat der Heilige Antonius wieder einmal voll zugeschlagen, und zwar diesmal in Trossingen, indem er eine dringend benötigte Tüte mit Vogelfutter an einer bestimmten Haustür abstellte - bereits angebrochen, aber ohne jegliche Vorankündigung und ohne je darum gebeten worden zu sein.
Und wieder will´s keiner gewesen sein.
Lena
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Re: DIE RACHE DES HEILIGEN ANTONIUS

Beitrag von Lena »

Eine herrliche Kolumne, du nimmst dich selber so humorvoll auf den Arm und uns andere dazu. Schmunzelschmunzel während des ganzen Lesens :lol: 8-)

LG Lena
Das höchste Gut ist die Harmonie der Seele mit sich selbst.
Seneca
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heuberger
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Re: DIE RACHE DES HEILIGEN ANTONIUS

Beitrag von heuberger »

Liebe Lena,
Vielen Dank. Das Merkwürdige ist, dass sich äußerlich tatsächlich alles so abgespielt hat wie beschrieben.
Ich kann mir bis heute nicht erklären, was da vorging. Vermutlich hat da jemand einen Streich gespielt.
Der verdammte Wecker existiert noch. Ich habe ihn, sicherheitshalber, in einer Schublade eingeschlossen, damit er sich nicht nochmals vermehrt.
:D
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