DEUTSCH FÜR AUSLÄNDER

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heuberger
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DEUTSCH FÜR AUSLÄNDER

Beitrag von heuberger »

DAS WUNDER VON ERPFINGEN


Dass wir uns im Leben leichter täten, wenn wir alle die gleiche Sprache sprächen, oder wenigstens viele Sprachen zu sprechen verstünden, wird uns sofort klar, wenn wir feststellen müssen, dass wieder einmal die Sprachbarriere ein näheres Kennenlernen und besseres gegenseitiges Verstehen verhindert.
Mir selbst wurde dies schlagartig klar, als Freunde aus Frankreich, Jacqueline und Lionel, mit ihren beiden Kindern, Nadège und David, zu uns auf Besuch kamen. Zum Glück sprach ich französisch, und das nicht mal so schlecht. So konnte ich mich auch mit unseren Gästen fließend unterhalten. Schwieriger und sehr anstrengend wurde es aber, für andere Freunde, die des Französischen nicht mächtig waren, andauernd zu dolmetschen. Da wäre es schon gut gewesen, wenn wir alle die gleiche Sprache gesprochen hätten.

Dabei wurde mir auch klar, dass das Erlernen einer Sprache viel Aufwand an Zeit und Arbeit benötigt. Speziell das Erlernen der deutschen Sprache gilt als sehr schwierig, da Deutsch als komplizierte Sprache angesehen wird. ( Meinen Einwand, Deutsch zu lernen sei äußerst einfach, schließlich hätte ich doch auch Deutsch gelernt, und zwar bereits als Baby, ließ man aber nie gelten. Also nichts mit „Turbokurs“ beim Sprachenlernen“! )

Ich wurde aber auf eine merkwürdige Art und Weise eines besseren belehrt. So verwunderte es mich denn auch aufs höchste, als ich miterleben durfte, wie ein kleiner französischer Junge innerhalb von etwa 30 Minuten fließend deutsch zu sprechen begann, mit perfekter Betonung und Aussprache. Selbst die für Franzosen unüblichen Laute „h“ und „ch“ sprach er richtig aus. Hätte man mir davon nur erzählt, so hätte ich das niemals geglaubt. Aber so hatte ich das selber erlebt.

Und das kam so: Um den Gästen ein wenig vom Land zu zeigen, fuhren wir an einem strahlenden Sommermorgen los, hinauf auf die Schwäbische Alb, nach Erpfingen. Ziel war eine geführte Besichtigung der Bärenhöhle. Eine solche Führung dauerte etwa 45 Minuten, da der Zugang zur Bärenhöhle durch die früher entdeckte Karlshöhle führte; man besichtigte also in Wirklichkeit zwei Höhlen. Der Vorplatz war zu einer Art kleinem Rummelplatz ausgebaut. Dort standen viele Buden mit besonderen Attraktionen: Ein großes Spiegelkabinett mit vielen Zerrspiegeln, und eine Art kleines Märchendorf mit vielen kleinen Häuschen, von denen jedes ein anderes Märchen repräsentierte. Man warf 1 DM Eintritt in ein Kässchen, und los ging `s: Ein Licht ging an, ein Tonband schnurrte ab, und eine Frauenstimme erzählte das ganze Märchen, in der Fassung der Brüder Grimm. Das dauerte ein paar Minuten. In den Häuschen waren die handelnden Figuren des jeweiligen Märchens aufgestellt. Dann ging das Licht aus, und man saß im Dunkeln, wenn man nicht gleich wieder hinaus ins Freie ging.
Wir vergnügten uns zuerst im Spiegelkabinett, lachten über unsere verzerrten Spiegelbilder ( Heute lache ich nicht mehr so laut, wenn ich mich im Spiegel ansehe: beinahe so breit wie hoch. Das ist jetzt aber auch kein Spiegeltrick mehr.) Und dann gingen wir in ein paar der Märchenhäuser und sahen uns die Märchen an.

Es blieb zwar immer noch viel Zeit übrig bis zur nächsten Höhlenführung, aber inzwischen hatte sich der Himmel mit schwarzen Wolken bedeckt, und ein Unwetter zog herauf, mit Blitz, Donner und Hagel. Also blieb uns nur eine Möglichkeit: Wir mussten alle in das nächste Märchenhaus gehen, um dort im Trockenen das Unwetter heil zu überstehen. Nachdem die Tür zufiel, standen wir alle im Dunkeln. Also, 1 DM ins Kässchen, und wir hatten Licht für ein paar Minuten. Dass dabei dauernd derselbe Text abgeleiert wurde, es war hier „Dornröschen“, nahmen wir gottergeben in Kauf. Hauptsache im Trockenen und - im Hellen!

> VOR JAHREN WAREN EIN KÖNIG UND EINE KÖNIGIN, DIE SPRACHEN JEDEN TAG: „ACH, WENN WIR DOCH EIN KIND HÄTTEN!“ UND KRIEGTEN IMMER KEINS. DA TRUG ES SICH ZU, ALS DIE KÖNIGIN EINMAL IM BADE SASS, DASS EIN FROSCH AUS DEM WASSER ANS LAND KROCH UND ZU IHR SPRACH: „DEIN WUNCH WIRD ERFÜLLT WERDEN, EHE EIN JAHR VERGEHT, WIRST DU EINE TOCHTER ZUR WELT BRINGEN. … <
So tönte es aus dem Lautsprecher.
Draußen prasselte der Hagel heftig auf das Dach des Häuschens, und man hörte auch das laute Grollen des Donners. Drinnen hieß es:
> VOR JAHREN WAREN EIN KÖNIG UND EINE KÖNIGIN, DIE SPRACHEN JEDEN TAG: „ACH, WENN WIR DOCH EIN KIND HÄTTEN!“ UND KRIEGTEN IMMER KEINS. DA TRUG ES SICH ZU, ALS DIE KÖNIGIN EINMAL IM BADE SASS, DASS EIN FROSCH AUS DEM WASSER ANS LAND KROCH UND ZU IHR SPRACH: „DEIN WUNCH WIRD ERFÜLLT WERDEN, EHE EIN JAHR VERGEHT, WIRST DU EINE TOCHTER ZUR WELT BRINGEN.

Nach einiger Zeit, - etwa 20 ,-- DM später - war das Unwetter vorbei, die Tür wurde aufgetan, und das helle Tageslicht kam herein.

Da tat der kleine, fünfjährige David, der bis dahin vermutlich noch nie ein Wort deutsch bewusst gehört hatte, den Mund auf und sprach:

> VOR JAHREN WAREN EIN KÖNIG UND EINE KÖNIGIN, DIE SPRACHEN JEDEN TAG: „ACH, WENN WIR DOCH EIN KIND HÄTTEN!“ UND KRIEGTEN IMMER KEINS. DA TRUG ES SICH ZU, ALS DIE KÖNIGIN EINMAL IM BADE SASS, DASS EIN FROSCH AUS DEM WASSER ANS LAND KROCH UND ZU IHR SPRACH: „DEIN WUNCH WIRD ERFÜLLT WERDEN, EHE EIN JAHR VERGEHT, WIRST DU EINE TOCHTER ZUR WELT BRINGEN. … <
Und dies mit bester deutscher Aussprache und Betonung. Wir hörten fassungslos zu. ( Vermutlich hatte er den Inhalt dessen, was er aussprach, grob erfasst, und orientierte sich rein am Sprachklang )

Ich sagte zu den Eltern des Jungen: „Votre fils parle un allemand excellent“ (Euer Sohn spricht hervorragend deutsch.) Jacqueline, die Mutter, meinte dazu lachend: „Nous ne l´avons pas su jusqu´à présent.“ (Das haben wir bis jetzt nicht gewusst.)

Anschließend besichtigten wir noch die dunkle Karlshöhle und die schneeweiße Bärenhöhle mit ihren Skeletten der Höhlenbären.
Das war alles sehr beeindruckend und wunderbar.
Aber was sind schon die größten Wunder der Natur, im Vergleich zu dem Wunder, dessen Zeugen wir kurze Zeit zuvor geworden waren!
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