DIE WUNDERSAME WEGZEHRUNG

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heuberger
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DIE WUNDERSAME WEGZEHRUNG

Beitrag von heuberger »

Verblüffender Fund bei einer Ausgrabung

Dass unsere Altvorderen zu heidnischen Zeiten ihren verblichenen Lieben noch wichtige Dinge des Alltagslebens ins Grab mitgaben, für die Reise zu den Sternen, oder für ein gemütliches Beisammensein in der Zukunft, mit oder bei den Göttern - oder so - ist uns nicht neu. Dazu gehörten auch die üblichen Nahrungsmittel und Getränke ihrer Zeit, auf die wir bei Ausgrabungen gelegentlich auch stoßen, und die allein schon durch diese Tatsache des Wiederauffindens und der Identifizierung das helle Entzücken heutiger Archäologen hervorrufen. Können die doch so mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit feststellen, wie gewöhnlich das Leben in früheren Zeiten tatsächlich ablief.
Erst mit dem Christentum wurden diese Bräuche nach und nach seltener, bis sie schließlich nahezu völlig zum Erliegen kamen.
So weit, so gut! - Bis hierher alles wie gehabt.

Umso mehr Befremden muss daher die Entdeckung hervorrufen, dass derlei heidnisches Brauchtum doch nicht ganz ausgestorben ist, sondern, sogar in unserer Zeit noch, weiter existiert, bzw. neu aufblüht, wenn auch großteils im Verborgenen und in veränderter Form.

Die ganze Geschichte spielte sich ab in Herbertingen, in der Gegend um die Heuneburg, hoch über der Donau, einer Region, die unter Fachleuten und interessierten Laien gleichermaßen wohlbekannt ist, sozusagen als ein Mekka der Archäologie in Deutschland. Selbst Studentinnen aus dem Oldenburgischen pilgern da hin, wie mir selbst festzustellen vergönnt war.

Vor wenigen Jahren wurde dort, unweit des „Bettelbühl“ (ausgeplünderter keltischer Grabhügel), ein weiteres Grab entdeckt, das enthielt das Skelett eines Kindes, und auch die sterblichen Überreste einer Frau, den gefundenen, wertvollen, feinst gearbeiteten, goldenen Grabbeigaben nach zu urteilen, einer Fürstin der Heuneburg. Die gesamte Grabstätte wurde zu Untersuchungszwecken daher auch eines Nachts im tiefsten Winter, ausgegraben, und als großer, gefrorener Block auf einem Tieflader heimlich in ein Labor des Landesmuseums abtransportiert. Auf dass etwaige moderne Grabräuber keine Chance erhielten, sich der Funde zu bemächtigen.
Als Kinder haben wir dort oft gespielt. Heute tut mir das Leid, denn es schickt sich nicht, auf Plätzen herum zu rennen und -zu spielen, wo andere Menschen begraben sind. So möchte ich hiermit die beiden Toten nachträglich um Verzeihung bitten, auch wenn davon auszugehen ist, dass sie schon damals bereits an anderer Stelle erneut im Einsatz waren.

In jedem Dorf gibt es ein paar wunderliche Käuze. Das sind Menschen, die durch ein merkwürdiges, oft nicht angepasstes Verhalten auffallen, und manchmal auch durch einen fürchterlichen Humor, der selbst den britischen verblassen lässt. Meist sind diese Leute sonst wirklich harmlos. Sie tragen aber dazu bei, dass auch das Leben auf dem Lande alles andere als fade und bloß konventionell verläuft. Gerade diese „Originale“ sind oft die Würze des Alltags, die jeden faschistoiden, kleinkarierten Gutmenschen zur Weißglut treiben können.
Um dies besser zu verstehen, sei hier ein Beispiel angeführt: Ich erinnere mich noch sehr gut an einen solchen Menschen, Ambros mit Namen, der immer im Wirtshaus saß, wenn ich zum Mittagessen kam. Einmal, es war 1978, als die „Baader-Meinhof-Bande“ mit ihren Anschlägen und Morden ganz Deutschland in Angst und Schrecken versetzte, zur Zeit der Entführung von H. M. Schleyer, sprach er mich an, als ich hereinkam: „Du, Lehrer, hosch scho g´hairt? D´r Baader ond d´Ensslin kennet etzat go heirota.“ (= Du, Lehrer, hast du es schon gehört? Der Baader und die Ensslin können jetzt bald heiraten).
„Hä?“ "Ha, da Schleyer hont se scho, ´s fehlt ehne bloß no d´r Strauß!“ . (= Nun, den Schleyer haben sie schon, es fehlt ihnen nur noch der Strauß!) Wer sich in der damaligen Zeit auskennt, der weiß, wer und was mit dieser Anspielung gemeint war. So etwas geradezu Ungeheuerliches hatte ich noch nie gehört, und so fiel mir denn auch beinahe meine Aktentasche aus der Hand (Vor Schreck und vor Lachen).

Solch ein Mensch etwa war auch der „Brunnaberg-Done“ (Anton vom Brunnenberg). Man nannte ihn so, weil sein elterliches Haus oben am Brunnenberg lag, einem etwas höher gelegenen Teil des Dorfes, wo früher mal ein öffentlicher Brunnen stand. Dort wurde er geboren, und dort verbrachte er auch Kindheit und Jugend, bei seinen Eltern und Geschwistern. Nach seiner Verheiratung zog er ins Haus der Eltern seiner Frau, welches am „Konditorberg“ lag. Er war ein harmloser, freundlicher Mensch, etwas kauzig, der gerne auf seinem Moped, das war sein ganzer Stolz, durchs Dorf ratterte, und sonst am liebsten mit seinen Kumpels im Wirtshaus saß.
Er lebte halt, vermutlich nicht voll bewusst, nach dem Wahlspruch der Internationalen Liga zur „Vernichtung“ des Alkohols, mit perfekter Argumentationskette, logisch exakt, zielstrebig und unwiderlegbar:
Wer säuft, wird müde.
Wer müde ist, schläft,
Wer schläft, sündigt nicht.
Wer nicht sündigt, kommt in den Himmel.
Also: Lasset uns saufen, auf dass wir in den Himmel kommen!
Einige, die ihm nicht gerade wohlgesonnen waren, hießen ihn einen Tagedieb und Nichtsnutz.
Als Kind und Jugendlicher kannte ich ihn gut und habe auch des öfteren mit ihm gesprochen. Als ich dann später fortzog, verlor ich ihn völlig aus den Augen, und auch aus dem Sinn, bis mir eines Tages ein Cousin, der noch immer im Dorf wohnt, mitteilte, dass der Brunnaberg-Done auch gestorben sei und begraben. Das muss so um das Jahr 1980 herum gewesen sein.

Schon bei der Beerdigung soll es zu ein paar kleineren Zwischenfällen gekommen sein, aber man war dort ja eh Sonderbares gewöhnt, und so fielen diese auch nicht weiter auf.
Nach dem Abschluss der kirchlichen Aussegnung, als der Pfarrer samt Ministranten den Platz verlassen hatte, kam die Stunde der Vereine. Da der Verstorbene bei vielen Mitglied war, zog sich das ganze Begräbnis noch etwas in die Länge, da alle ihre Reden halten wollten, und ihre Kränze niederlegen, nicht ohne sich selber dabei in ein günstiges Licht zu rücken.
Der Vorsitzende der örtlichen Sektion des Bienenzüchtervereins „Immacul atA“ e.V. („Bienenzuchtcultur auf traditionelle Art“) schoss dabei den Vogel ab. Nachdem er den Done als treusorgenden Bienenvater in den höchsten Tönen gepriesen hatte, und die Anwesenden gar schon mit der Möglichkeit rechnen mussten, dass er dem Toten ein Glas selbstgeschleuderten Honigs über den Sarg auszugießen gewillt war, wollte er seinen Auftritt mit einem kräftigen und wohltönenden „Schlummere sanft!“ beenden. Aber infolge seiner eigenen Begeisterung - oder war´s bloß die Aufregung? - brachte er nur noch ein klägliches „Schlammere sunft“ zustande. Dies fiel aber nicht weiter auf, weil eh niemand mehr zugehört hatte. (Einzig die anwesenden Himmlischen Heerscharen lachten vergnügt und freuten sich.)
Eine weitere Begebenheit soll sich noch zugetragen haben, aber dies wird auch oft und gerne von ähnlichen Geschehnissen berichtet und ist daher nur mit Einschränkung zu glauben. (Allerdings, spätestens seit Rumpelstilzchen wissen wir ja aber auch, dass sich selbst das leergedroschenste Stroh doch immer noch zu Gold verspinnen lässt.): Seine Freunde standen, leicht angesäuselt und schwankend, am offenen Grabe, warfen ihre kleinen Blumensträußchen auf den Sarg, vergossen Ströme von Weihwasser, und wollten bereits wieder ins Wirtshaus zurückgehen, als noch einer von ihnen vortrat, und einen Ring Krakauer Wurst hinabwerfen wollte. Zum Glück bemerkte sein Nachbar das noch rechtzeitig, stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und zischte: „Du Depp, moinschd du, dass der no dei Wurschd isst?“ (= Du Dummkopf, meinst du, dass der noch deine Wurst isst?) - Worauf der so Angesprochene zurückzischte: „Selber Depp, glaubschd du, dass der no aufschdohd, ond uiere Bluama giaßt?“ (= Selber Dummkopf, glaubst du, dass der noch aufsteht und eure Blumen gießt?).
Nach diesem tiefschlürfenden(!) Dialog über Glaubensfragen kehrten die Freunde ins Wirtshaus zurück und widmeten sich wieder mit inbrünstiger Hingabe ihrer bevorzugten Beschäftigung, dem Saufen.

Die Zeit verging, und nach und nach dachten sie immer weniger an ihren verstorbenen Kumpel, bis sie ihn schließlich ganz vergaßen.
So viel zu den Dingen, die man ihm mit ins Grab legte, oder besser, warf, oder eben auch nicht. Die eigentliche Überraschung sollte aber erst sehr viel später zutage treten.

Es kamen die Jahre, und gingen wieder.
In Ostdeutschland, hatten die Leute dermaßen genug von den Zuständen in ihrem Land, dass sie, nach 36 Jahren, wieder einen Aufstand wagten, und diesmal gewannen – genau 200 Jahre nach der französischen Revolution, und dies alles, ohne einen einzigen Blutstropfen zu vergießen.
Das ist ein Quantensprung in der Geschichte. Und ein Punkt, wo man als Deutscher mal stolz sein kann auf sein Land. Es gibt sonst wenige solche!
Und so kam es denn zur Neuvereinigung Deutschlands, zu einem Zeitpunkt, als niemand mehr glaubte, dass dies noch zu seinen Lebzeiten geschähe.

Eines Tages rief mich Gustl, mein Cousin, an und sagte: „Du hosch doch au no da Brunnaberg-Done g´kennt? I han ledschde Woch sein Soh´droffa, der ischd a bissele durchanand g´wäa, ond der hot mir äbbas ganz Komisch´s vrzellt.“ (= Du hast doch auch noch den Brunnaberg-Done gekannt? Ich habe letzte Woche seinen Sohn getroffen, der war etwas durcheinander, und der hat mir etwas ganz Merkwürdiges erzählt.“ Auf meine Frage, um was es sich denn handele, fuhr er fort: „Also, er hot g´sait, dass er vo d´r G´moid a Schreiba g´kriagt häb, do sei g´schdanda, dass dia Liegezeit vo seim Vadder uff ´m Friedhof um sei, ond dass er dafir sorga soll, dass des Grab a´g´reimt wird, d´r Grabschdoi ond dia Omfassung. (= Also, er hat gesagt, dass er von der Gemeinde ein Schreiben bekommen hätte, darin sei gestanden, dass die Liegezeit seines Vaters auf dem Friedhof um sei, und dass er dafür sorgen soll, dass das Grab abgeräumt würde, der Grabstein und die Umfassung.). Und dann berichtete er weiter: „Ond wia se am A´reima g´wäa send, do ischd uff oimol d´r Grabschdoi unda a´brocha ond umg´keit. Ond wia se nochguckat hont, isch do im Sockel so äbbas wia a Loch g´wäa, in dr Form vo ´ma Wrfel, grad wia a wenzig glois Zimmerle, ond Da glaubsch it, wa do dinna g´wäa ischd : A FLASCH JÄGERMOISCHDR…. Ond se däred romrätsla, wa des soll.“ (Und wie sie beim Abräumen waren, da ist auf einmal der Grabstein unten abgebrochen und umgefallen. Und als sie nachschauten, war da im Sockel so etwas wie ein Loch, in der Form eines Würfels, gerade so wie ein winziges Zimmerchen, und du wirst nicht glauben, was da drin war: EINE FLASCHE JÄGERMEISTER < ein Kräuterlikör >. Und sie würden jetzt herumrätseln, was dies zu bedeuten habe.)
Mir selbst ist im Laufe meines Lebens schon viel Merkwürdiges zu Ohren gekommen, aber so etwas habe ich bis dato noch nie gehört. Das war buchstäblich etwas „Unerhörtes“. Und so rätselte auch ich herum. Zweifellos hatte der Steinmetz des Dorfes, Lambert E. den Grabstein angefertigt, und auch höchstwahrscheinlich, diese seltsame „Grabbeigabe“ hineingeschmuggelt und -gearbeitet. Der war auch als etwas schräger Spaßvogel bekannt. Aber, ob er dies aus eigenem Antrieb tat, oder ob er im Auftrag handelte, und falls ja, in wessen Auftrag, das entzieht sich völlig unserer Kenntnis. War es freundliche Absicht, oder sollte es eine Geste der üblen Nachrede sein?
Und es bleibt auch die Frage, was sollte damit eigentlich ausgesagt werden?
Dass der Done gerne dem Alkohol zusprach? Dass er gar so abhängig war, dass er bereits „am Tropf“ hing? Dass seine Freunde ihm einfach einen letzten Gruß mitgeben wollten? Hatte er vielleicht selber darum gebeten? Denn, wie bereits gesagt, er war ein Original. Und da kommt es auch vor, dass man sich, selbst für den Friedhof, schräge Dinge ausdenkt, so, wie vor vielen Jahrzehnten ein anderer Kauz aus dem Dorf, der überall verkündete, er verlange, umgekehrt begraben zu werden ( Füße in Richtung Grabstein, Kopf Richtung Gehweg), damit er den Frauen und Mädchen auch immer unter den Rock schauen könne, wenn sie an seinem Grabe stünden oder vorübergingen. Dann könnten wenigstens seine Knochen sich noch aufrichten.
Nehmen wir doch bitte an, es sei freundschaftlich gewesen.

Wie gesagt, an den Grabbeigaben können Kundige viel über das Leben und Denken der Verstorbenen und deren Umfeld erkennen.
Und hier wird aber auch der Unterschied zwischen den Bestattungsriten einst und jetzt deutlich:
Früher bekamen die teuren Verblichenen wunderbar fein gearbeiteten Goldschmuck mit ins Grab.
Und heute? Eine Flasche Kräuterlikör!

ACH, DU DEUTSCHES LAND, WAS BIST DU DOCH SO TIEF GESUNKEN!

Dennoch, wir wollen uns deshalb nicht allzu sehr dem Trübsinn hingeben.
Und darum lasset uns, jetzt erst recht, frohen Herzens gleichsam die ihm zugedachte Wurst verzehren, seine Blumen begießen, und die Gläser, notfalls mit Kräuterlikör, auf sein Wohl erheben und austrinken, und ihm ein freundlich ermunterndes „Schlammere sunft!“ zurufen; ganz gleich, wo er jetzt auch sein mag, und: "Steh auf, wirf deine Krücken weg und wandle - auf eigenen Füßen. Die Flasche brauchst du nicht mehr !"

Und wenn wir uns auch eingestehen müssen, dass wir so gar nichts über den Hintergrund jenes verblüffenden Fundes mit Sicherheit wissen, so wollen wir dennoch guter Dinge sein und voller Zuversicht und Gottvertrauen, denn eines wissen wir eben doch ganz sicher, und das ist und bleibt unser Trost:

WER SOLCHE FREUNDE HAT, DIE IHM SO ETWAS INS GRAB MITGEBEN, DER IST DOCH EIGENTLICH EIN GLÜCKLICHER UND GESEGNETER MENSCH - UND REICH OBENDREIN, SELBST, WENN ER AUCH DAS NOCH NICHT WEISS !
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