ROSEN AUF DEM MUTTERGRAB

Gedichte über Stimmungen, Gedanken
Antworten
Benutzeravatar
heuberger
Eifriger Schreiber
Eifriger Schreiber
Beiträge: 199
Registriert: Dienstag 21. Juli 2015, 15:03
Wohnort: Oldenburg (Oldbg)
Kontaktdaten:

ROSEN AUF DEM MUTTERGRAB

Beitrag von heuberger »

92

DAS WUNDER VON ANTAGNES – SUR – OLLON (?)

(MÄNNER TRAUERN GANZ ANDERS)

Als Mutter dreiundneunzig war,
da sprach sie´s aus: „Mir ist jetzt klar,
mein Dasein wird in Bälde enden,
dann will ich mich von hinnen wenden.

Bloß eines grämt mich, glaub es mir:
Ich will begraben sein nicht hier,
will das Versprechen Dir abringen:
Kein Grab für mich in Herbertingen!

Dem Kaff sag´ gern ich „gute Nacht“,
dort hab ich zu viel durchgemacht.“
Nun ist´s geklärt, und sie ist froh;
Bleibt bloß die neue Frage: Wo?

Da fällt ihr ein: Von großem Reiz
Wäre ein Grab dort in der Schweiz.
Dort wuchs sie auf, zog später fort,
fand nie zurück zum Sehnsuchtsort.

Vor ewig langer Zeit, hat sie,
die furchtbar kranke Nichte, die,
zum Sterben lag, in tiefer Nacht,
zur Rettung in die Schweiz gebracht.

Sie denkt bei sich: Kann ich´s wohl wagen,
sie um Erlaubnis nachzufragen,
ob bei ihr, hinterm Haus, die Asche
ein stilles Plätzchen wohl erhasche?

Jetzt werdet nicht vor Staunen stumm,
und fragt auch nicht: Wieso? Warum?
Es ist halt so, und überhaupt,
dort in der Schweiz ist das erlaubt.

Gedanken macht´ sie sich sodann,
und rief bei ihrer Nichte an:
„Wenn´s mal soweit ist, sagst Du´s zu,
Dass ich bei Dir im Garten ruh´?“

Die sagte „ja“ am gleichen Tage,
und meint´ dazu noch: „Deine Frage,
braucht Dich nicht grämen oder reuen.
Soll´n wir Dich eingraben, oder streuen?

Da wurd´ das Herz ihr wieder leicht,
Was sie gewollt´, hatt´ sie erreicht.
„Muss packen nicht mal Siebensachen,
kann mich getrost vom Acker machen.

Verleidet war der Mutter ganz,
Das Leben, jetzt, so ohne Glanz:
„Will weiter nicht mehr sein hinieden“,
Und ist dann friedlich abgeschieden.

-----------------------------------------------

Lange vorher, so sagte sie,
dass sie sich melden würde hie,
als Zeichen, dass es sie noch gäbe,
dass man noch nach dem Leben lebe.

Ein weiteres Problem auch endet:
Als Päckchen wurde sie versendet.
Nach kurzer Zeit kam sie sodann
im Karton in Antagnes an.

Dort stand sie nun, im unt´ ren Zimmer,
und hoffte auf Bestattung immer.
Weil jedoch schlechtes Wetter war,
wartete sie ein halbes Jahr.

Doch diese Zeit ging auch vorbei.
Man traf sich eines Tags um drei,
um dann der Mutter zu gedenken,
die Asche in ihr Grab versenken.

Der Sohn kam angereist von ferne,
die Arbeit übernahm er gerne.
Packt´ vorher noch die Urne aus;
da fasst ihn doch ein leichter Graus:

Was er im Päckchen vorgefunden,
hatt´ Oben nicht, und auch kein Unten.
Doch, als er´s wendete dann sacht,
sah er den Deckel angebracht.

Und wie er noch verwundert schaut´,
vernahm er eine Stimme, laut:
„Gott, schrecklich lang hat das gewährt,
ein halbes Jahr stand ich verkehrt!“

Dem Lachen wich der Schrecken hart:
das war so typisch Mutters Art,
dass solche Äußerung sie tut,
für Überraschung immer gut.

Die Treppe hoch, im schnellen Schritt,
die Mutter in der Schachtel mit,
zum Kaffeetisch. „Jetzt gebt fein Acht,
ich hab sie auch gleich mitgebracht.“

Und Madame Herren grub dann noch
am Gartenzaun ein tiefes Loch;
das sollte Mutters Grab dann werden,
käm´ erst die Asche in die Erden.

Darauf sprach die Cousine: „Fein,
So soll sie auch begraben sein.“
Man wollte nicht mehr länger warten,
und ging hinaus dann in den Garten.

Die Urne wurde aufgemacht,
die Asche in das Grab gebracht
Und dann die Mutter, unverhohlen,
der Liebe Gottes anempfohlen.

-----------------------------------------

Es war ein kleines Plätzchen nur
Im Garten dort, in der Natur.
Die Lage, die war richtig schön.
Gern wird man immer da hingeh´n.

So liegt es an dem Südhang hie,
Die „Dents Du Midi“ vis – à - vis.
Wo Zephyrs Hauch die Hänge streift,
da ist schnell der Entschluss gereift.

Der Mutter Geist dacht´ bei sich: „Fein,
hier ist gut ruh´n, hier ist wohl sein.
Bei solch grandioser Augenweide
da macht sogar das Totsein Freude.

Vor Jahren bin ich fortgegangen,
hab´ immer an dem Land gehangen.
Jetzt bin daheim ich endlich wieder.“ -
Und ließ sich an dem Orte nieder.

Die Nichte Liselott´, die Gute,
die mit viel Kunstverstand geruhte,
der Mutter Grab schön herzurichten,
weiß von der Deco zu berichten:

So blühet, blutrot, überm Moose,
ganz prächtig eine Kletterrose,
so von der Sorte „Sympathie“.
Wie stark und lieblich duftet die!

Tiefblau darunter, ein Gedicht:
Kaukasisches Vergissmeinnicht,
das schön die Fläche im Geviert
mit warmem Blauton samtig ziert.

Drumrum da hat sie, mit Bedacht,
vier Solarlämpchen angebracht,
die leuchten lieblich, welche Pracht,
orange-rötlich durch die Nacht.

Die Zeit verging, so manches Jahr.
Allmählich wurde es dann klar:
Auf Mutters Zeichen eines Lebens
da warteten wir doch vergebens.

Schon wieder war´n fünf Jahre um;
Nichts tat sich mehr, alles blieb stumm.
Ich geb es zu, ganz unumwunden:
Damit hab ich mich abgefunden.

----------------------------------------------

Doch eines Tags, am Telefon,
rief die Cousine an, und schon
berichtete sie, aufgeregt,
und immer noch zutiefst bewegt:

Den ganzen Tag die Sicht war diesig,
und Wolken kamen, schwarz und riesig.
Die Luft stand still, stickig und schwül.
Da fasste sie ein Angstgefühl.

So ganz geheuer war es nicht.
Der Himmel droht´ in gelbem Licht,
Mit schwarzen Riesenwolken drauf:
Vom See her zieht ein Wetter auf.

Ganz bang verkröche man sich gerne;
Ein Grummeln, Rumpeln in der Ferne,
das näherkommt, die Furcht wird groß,
und dann bricht jäh die Hölle los.

Die Blitze zucken, Donner dröhnt,
So laut, als ob die Erde stöhnt.
Es ist, als wenn bald nichts mehr hält,
Der Hagel prasselt auf die Welt.

Und tobt sich aus in wilder Wut,
Der ganze Garten geht kaputt.
Und selbst noch das Garagentor
sieht nicht mehr aus als wie zuvor.

Wer jetzt noch aus dem Fenster blickt,
der sieht gar alles abgeknickt.
Das Herz bei diesem Anblick wimmert:
Mein schöner Garten ist zertrümmert.

Der Anblick ist schwer zu ertragen:
Fast alles kurz und klein geschlagen.
Dabei hat´s nicht mal lang gewährt. -
Jedoch das Grab blieb unversehrt.

Der Rosenstrauch, wie soll man´s sagen,
ist beinah völlig abgeschlagen.
Kein Blatt und keine Blüte mehr,
nur kahle Triebe, völlig leer.

Auch übers Grab ein Ast nur führt.
Doch genau der blieb unberührt.
Genau hier tat der Sturm nicht wüten;
fünf Blätter zeigen´s, und drei Blüten.

Alles sieht aus wie kalt geröstet.
Allein nur dieser Anblick tröstet:
O Rose, wie so friedlich blühste
inmitten dieser Hagelwüste!

Tiefblau darunter, ein Gedicht:
Kaukasisches Vergissmeinnicht,
das schön die Fläche im Geviert
so samtig blau noch immer ziert.

Drumrum, noch heil, ich sag es dir,
die Solarlämpchen, alle vier.
Die leuchten weiter, welche Pracht,
unschuldig durch die dunkle Nacht.

Und dieses mildert die Empörung:
Dass mitten drin in der Zerstörung
der Mutter Grab, so wert und lieb,
von all dem Graus verschonet blieb.

-------------------------------------------

Doch bald schon, vor und hinterm Haus,
die Pflanzen schlagen wieder aus.
Vom Unheil ist der Ort genesen –
Und tut, als sei gar nichts gewesen.

Des Menschen Geist, er überlegt,
was letztlich da dahintersteckt:
Bloß ein Ereignis der Natur?
Doch, was soll uns das sagen nur?

Und sind wir auch total belämmert,
Zeit wird´s, dass die Erkenntnis dämmert:
So segnet und straft noch heute die Hand
Der Mutter in Antagnes im Waadtländischen Land.

Auch wenn inzwischen wird geschildert,
das kleine Grab sei ganz verwildert;
DIE BOTSCHAFT, DIE IST ANGEKOMMEN:
„MUTTER, JA, DU BIST, DICH HAB´ ICH VERNOMMEN!“
Lena
Eifriger Schreiber
Eifriger Schreiber
Beiträge: 280
Registriert: Freitag 23. Dezember 2011, 21:53
Wohnort: Bayern

Re: ROSEN AUF DEM MUTTERGRAB

Beitrag von Lena »

Da ist dir ein sehr langer Text rund gelungen!
Das höchste Gut ist die Harmonie der Seele mit sich selbst.
Seneca
Benutzeravatar
heuberger
Eifriger Schreiber
Eifriger Schreiber
Beiträge: 199
Registriert: Dienstag 21. Juli 2015, 15:03
Wohnort: Oldenburg (Oldbg)
Kontaktdaten:

Re: ROSEN AUF DEM MUTTERGRAB

Beitrag von heuberger »

O, danke, liebe Lena.
Das äußere Geschehen hat sich wirklich so zugetragen wie hier berichtet.
Der schnoddrige Ton sollte die Rührung etwas zurückdrängen, so wurde es halt ein Gelächter mit feuchten Augen.
Dank auch noch den Herren Fontane und Mörike- An ihre Formulierungen als gültiges Muster habe ich mich bewusst in den letzten beiden Strophen gehalten.
Antworten