GOTT SCHÜTZE UNSERE HUREN

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heuberger
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GOTT SCHÜTZE UNSERE HUREN

Beitrag von heuberger »

Da ich meine gesamte Kindheit und Jugend in einem Bauerndorf in Süddeutschland verbracht habe, sind mir Feldzeichen, Weg- und Sühnekreuze wohlbekannt. Das waren zumeist Steine, lange Balken oder Holzbretter, oft in Kreuzform behauen, oder als Bildstock geformt, mit einer Inschrift, die dem Wanderer den Sinn des Anlasses, und den Sinn des Aufstellens, anzeigten. Das konnten lang zurückliegende Verbrechen, bis hin zur Mordtat, gewesen sein, oder aber in den meisten Fällen ließen Familien sie als Bitten um Segen für die Früchte der Feldarbeit auf ihren eigenen Grundstücken errichten.
Ein besonders beliebter Spruch war da:

GOTT SCHÜTZE UNSERE FLUREN.

Auch bei uns stieß man außerhalb der Grenzen des Dorfes häufig auf solche Wegemarken. Bei den täglichen Spaziergängen mit meiner Mutter, samstags und sonntags mit beiden Eltern - ich hasste sie ungemein ( die Spaziergänge! ) - kamen wir regelmäßig an solchen Feldzeichen vorbei.
An einem Sonntagnachmittag waren wir also wieder mal unterwegs, Vater, Mutter und ich. Nachdem wir beim kleinen Bahnhof (Unser Ort war ein Straßen- und Eisenbahnknotenpunkt, und hatte zwei Bahnhöfe) also, nachdem wir dort die Gleise bei der Schranke überschritten hatten, gingen wir zügig in Richtung Lourdes-Kapelle. Die lag oben auf der Höhe eines Moränenzuges. Auch hier führte der Weg an einem auf halber Höhe aufgestellten, großen Feldkreuz vorbei.
Da ich bereits lesen konnte, als ich in die Schule kam - ich hatte es mir selber beigebracht, habe aber keinerlei Erinnerung mehr daran, wie ich das bewerkstelligt habe - entzifferte ich auch, was da brav in den Querbalken eingekerbt war und las vor:
GOTT SCHÜTZE UNSERE FLUHREN!
Die Eltern ergötzten sich beide an der unorthodoxen Orthographie des Textes. Das Kreuz war von einem Schreiner des Ortes angefertigt und aufgestellt worden. Er konnte gut mit Holz umgehen. Mit der Rechtschreibung weniger. Sein Sohn ging mit mir in dieselbe Klasse.
Und so blieb das eh in der Familie. Und unserem „Vater im Himmel“ ist es sowieso egal, ob er jetzt die Fluren, ohne „h“, oder die Fluhren, mit „h“, beschützen soll. Er weiß doch, wessen wir bedürfen, bevor wir ihn darum bitten. Also, was soll´s?
Schließlich kamen wir oben bei der Kapelle an, bewunderten den schönen Rundblick ( ich damals weniger, mein Sinn für die Schönheit einer Landschaft war noch sehr unterentwickelt ), über das Donauried hinüber zur Alb mit der Heuneburg im Norden, dann weiter im Osten, wo der der Bussen, der „heilige“ Berg Oberschwabens durch seine charakteristische Form gleich auffiel, dann nach Süden, von wo ab und zu ein Gipfel der Alpen über den Wäldern sichtbar war.
Und dann ging man wieder den Moränenberg mit seinen sanften Abhängen hinunter, ins Dorf zurück.
Auf halber Höhe stand auch hier ein Feldkreuz. Es war schon wesentlich älter als das andere, an dem wir beim Aufstieg vorbeigekommen waren.
Längs- und Querbalken waren etwas rissig und verwittert. Aber dennoch war die eingeritzte Schrift sehr gut zu erkennen. Es war altdeutsche Schrift, die ich damals noch nicht so richtig lesen konnte, denn in der Schule lernten wir lateinische Schreib- und Druckschrift. Hier stand also:

108 (Bitte Doppelklick aufs Foto, dann wird´s vergrößert und lesbar)

Ich entzifferte mühsam und verkündete dann voller Stolz meinen Eltern: „Babba, Mama, do schdohd:
GOTT SCHÜTZE UNSERE HUREN, wa isch des?“ (= Papa, Mama, da steht: GOTT SCHÜTZE UNSERE HUREN, was ist das?)

Die Wirkung war umwerfend.
Die Mutter setzte sich ins Gras am Wegrand. Dann fiel sie mit einem Plumps um und wälzte sich zuckend und laut lachend im Gras.
Der Vater hielt sich den Bauch, dann geriet er ins Schwanken. Er konnte sich gerade noch am Feldkreuz festhalten und rang nach Luft. Sonst wäre er auch zu Boden gegangen.
Ich aber stand bestürzt und ratlos da, musste ich doch davon ausgehen, dass ich mit meiner Bemerkung diese völlig unverständliche Reaktion provoziert hatte. Da sie nicht ansprechbar waren, befürchtete ich Schlimmes.
Erst nach längerer Zeit schienen sie wieder zu sich zu kommen.
Die Mutter stand auf, klopfte sich die Kleider ab, mit der Hand; und der Vater ließ das Kreuz los, an dem er sich festgehalten hatte.
Ich war heilfroh, dass sie sich wieder erholt hatten, und wagte daher nicht mehr, ihnen die gleiche verhängnisvolle Frage noch einmal zu stellen, die derart heftige Reaktionen hervorrufen konnte. Und so blieb ich noch lange Zeit unwissend. Aber das war eigentlich auch kein Verlust.
Auch auf dem Heimweg verhielten sie sich merkwürdig. Nachdem sie sich längere Zeit über wie gewohnt unterhielten, brach es plötzlich aus ihnen heraus, und sie lachten schallend los, ohne irgendwelchen Anlass. Ich hatte keine Ahnung, was in ihnen vor sich ging. Ach, was haben´s Kinder doch oft schwer, ihre Eltern zu verstehen!

Geraume Zeit später, als ich auch die deutsche Schrift besser lesen konnte, wurde mir klar, dass ich einer optischen Täuschung aufgesessen war. Die beiden Buchstaben „F“ und „l“ hintereinander geschrieben, sehen beinahe aus wie ein lateinisches „H“. So entstand mein „Lesefehler“.
Heute sind diese Feldkreuze als Kulturdenkmäler alle renoviert. Dabei fällt mir auf, dass vermutlich die beiden ominösen Buchstaben etwas auseinander gerückt werden, um jenen „fatalen“ Eindruck zu vermeiden. So siegt kleinkarierte Wohlanständigkeit über derb rustikale Lebensansichten und -weisen!
Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass die ursprüngliche Schreibweise mit augenzwinkernder Absicht angefertigt wurde.

Es dauerte noch viele Jahre, bis ich auch die Bedeutung begriff. Nun verstand ich auch, warum sich meine Eltern damals vor Lachen geschüttelt hatten. Jetzt konnte ich es ihnen gleich tun.
Bloß für die Moralapostel habe ich keine so gute Nachricht.
Liebe Leute, schaut doch bitte in diesem Zusammenhang wieder einmal im Lukasevangelium nach, und zwar LUK 7, 36 – 50.
Dort steht:

36 Es bat ihn aber der Pharisäer einer, daß er mit ihm äße. Und er ging hinein in des Pharisäers Haus und setzte sich zu Tisch.
37 Und siehe, ein Weib war in der Stadt, die war eine Sünderin. Da die vernahm, daß er zu Tische saß in des Pharisäers Hause, brachte sie ein Glas mit Salbe
38 und trat hinten zu seinen Füßen und weinte und fing an, seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salbe.
39 Da aber das der Pharisäer sah, der ihn geladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und welch ein Weib das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.
40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sage an.
41 Es hatte ein Gläubiger zwei Schuldner. Einer war schuldig fünfhundert Groschen, der andere fünfzig.
42 Da sie aber nicht hatten, zu bezahlen, schenkte er's beiden. Sage an, welcher unter denen wird ihn am meisten lieben?
43 Simon antwortete und sprach: Ich achte, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht gerichtet.
44 Und er wandte sich zu dem Weibe und sprach zu Simon: Siehest du dies Weib? Ich bin gekommen in dein Haus; du hast mir nicht Wasser gegeben zu meinen Füßen; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet.
45 Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber, nachdem sie hereingekommen ist, hat sie nicht abgelassen, meine Füße zu küssen.
46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt.
47 Derhalben sage ich dir: Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt; welchem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben.
49 Da fingen die an, die mit zu Tische saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt?
50 Er aber sprach zu dem Weibe: Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin mit Frieden!

Insbesondere scheint Jesus aber das Schwergewicht auf den Vers 47 zu legen:
DERHALBEN SAGE ICH DIR: IHR SIND VIELE SÜNDEN VERGEBEN, DENN SIE HAT VIEL GELIEBT; WELCHEM ABER WENIG VERGEBEN WIRD, DER LIEBT WENIG.

So steht es geschrieben. In aller Vieldeutigkeit. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das gibt doch sehr zu denken.

Missverständnisse, wie weiter oben beschrieben, so sie denn aufgeklärt werden, bergen immer die Chance, althergebrachte, festgefressene und unverrückbare Meinungen und Standpunkte zu lockern und eventuell zu ändern. Sie können uns zu neuen, tiefen Erkenntnissen führen. Man muss nur den Mut dazu aufbringen. Aus unseren Fehlern sollen wir lernen!

Also, in diesem, erweiterten Sinne:
GOTT SCHÜTZE AUCH UNSERE HUREN!

Wer von uns vermöchte es da, ernsthaft Widerspruch einzulegen?
:)
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