Eine Liebesgeschichte

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Susanne
Neugierig
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Registriert: Dienstag 4. Januar 2011, 00:51
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Eine Liebesgeschichte

Beitrag von Susanne »

Zwischen Papaya und Kukuyu

Der Morgen begann hektisch. Corinna hatte selbst Ihren schrill klingelnden Wecker überhört. Das musste besser werden. Mühsam schälte sie sich aus ihren Laken und stolperte ins Bad. Als Sie sich im Spiegel betrachtete, fragte Sie sich, wie Sie das je in Ordnung bringen sollte, denn nicht nur Ihre Haare waren verzaust, sondern Ihr Gesicht auch schlimm verknittert. Sie war einfach wieder zu lange vor dem Computer verhockt und mit Ihren 33 Jahren nicht mehr die Jüngste. Aber so war es jeden Abend seit fast 2 Jahren – sie kam abends geschafft von der Arbeit in Ihre spärlich möblierte, dunkle und stille Wohnung. Corinna war einsam und seit Ihrer letzten Affäre mit dem chaotischen Lars, der das Leben so leicht nahm, was Sie nicht war, kilomässig, schien es, als ob sein Chaos wie ein letztes Geschenk zurückgeblieben wäre als Lars sich still und leise verabschiedet hatte. Eines Morgens war er einfach weg gewesen. Kein Brief. Keine Nachricht. Nicht mal eine SMS. Es kam Ihr so vor, als hätte er nie existiert. Wenn nicht seine bunte Wollmütze noch an der Garderobe hängen würde, könnte Sie es selbst sogar glauben. Es war sowieso nichts Ernstes gewesen, das wusste Sie, aber dennoch, Lars war durch Ihr Leben geweht wie ein Wirbelwind und hatte Sie oft zum Lachen gebracht mit seinem unvergleichlichen Humor und seiner verrückten Weltanschauung und manchmal, ja manchmal war es auch zu Zärtlichkeiten und Nähe gekommen.

Dieser Freudenfunken hatte nun Ihre Lebensbühne verlassen und es schien Ihr als fege Sie nun, nach Ende dieser Vorstellung, als schäbige Putzfrau die letzten Reste Ihres Selbstvertrauens fort. Das Ansehen war auf die Anderen verteilt worden. Wie sollte Sie, so wie Sie jetzt aussah, nur je wieder einen Partner finden. Sie schüttelte den Kopf. Nein, Sie wollte sich nun nicht gleich Morgens mit diesen Gedanken rumquälen. Und so machte Sie das Beste aus Haar und Gesicht, nachdem Sie noch rasch geduscht hatte, aß im Vorbeilaufen ein altes Brötchen mit Honig, das Ihr bestimmt wieder den ganzen Tag im Magen liegen würde und trank noch einen Schluck Milch aus dem Kühlschrank. Beides würde Ihr nicht bekommen, das wusste Sie schon jetzt und verzog in weiser Vorahnung den Mund, aber es war besser als Nichts. Sie zog die Tür Ihrer Altbauwohnung knarrend hinter sich zu, um gleich im Flur der alten Frau Berker zu begegnen, die wohl auch wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden war, wie Sie, nur bei ihr schlug es immer ins Negative um, nach dem Motto: Ich hasse die Welt. Das bekam Corinna nun zu spüren, denn Frau Berker rief Ihr zu „Na, wohl wieder verschlafen. Das wird ja schon zum Normalzustand. Kein Wunder, fette Menschen sind einfach unbeweglich“. Corinna senkte den Kopf und hastete so schnell Sie konnte die Treppen hinunter wie ein geprügelter Hund. Frau Berker rief Ihr noch manch weitere Gemeinheit schallend hinterher, aber Sie wollte es nicht hören und machte, dass Sie weg kam.

Als Sie um die Ecke des Gebäudes bog um die Bushaltestelle anzusteuern, wo heute, aufgrund Ihrer Verspätung, Gott sei Dank nur wenig Menschen warteten, war sie einer Ohnmacht nahe. Ihr Herz raste ob dieses ungewohnten Spurts und die Blessuren in Ihrer Seele waren schmerzlich spürbar und Sie merkte wie Ihr der Schweiß aus allen Poren drang. Auch das noch. Sie sah Frau Laubenpieper, die Bankchefin, schon mit hochgezogener Augenbraue vor sich wie die dunkle Herrscherin aus dem Fernsehfilm, den Sie neulich gesehen hatte und Ihre serienmördergleich lauernde Fistelstimme drang im Geiste bereits an Ihr Ohr mit den empörten Worten „Frau Bauer, ja kann es denn wahr sein. Was fällt Ihnen ein so spät zu erscheinen und wie sie wieder aussehen !“ Dabei würde Sie dann wieder angewidert mit den Augen rollen. Sie wusste gar nicht wie oft Sie diesen Blick schon gesehen hatte. Das Einzige was Ihr bislang eine Kündigung erspart hatte, waren Ihr scharfer Verstand und Ihre Einsatzfreude gewesen, dass Sie meist für drei arbeitete und sämtliche Kollegen unterstützte, die nicht rund und auch oft mal zu spät kamen.

Denen blieb das Donnerwetter aber meist erspart, denn im Gegensatz zu Ihr sahen diese Damen und Herren aus, als wären Sie allesamt einem Modejournal entstiegen und obwohl Frau Laubenpieper Unpünktlichkeit regelrecht verabscheute, liebte Sie doch den feinen Kleidungsstil und tolerierte stoisch und stillschweigend die Verfehlungen Ihrer Modelmitarbeiter. Corinna sah an sich herunter. Ihre weiße Bluse war nicht ganz knitterfrei, das graue Jacket abgenutzt und der ebenfalls graue und knielange Rock eigentlich für Sie nicht tragbar. Aber es drückte genau aus wie Sie sich fühlte. So dachte Sie bei sich „Ja, wie eine graue Maus sehe ich aus“. Während der Fahrt zur Arbeit versuchte Sie sich zu beruhigen und den Schweißausbrüchen Einhalt zu gebieten. Die Hitzewallungen ließen Gott sei Dank endlich nach. Sie schaute aus dem Fenster auf das bunte Treiben der Straße und sah sich dann im Bus um. Die Leute um Sie her waren mit sich beschäftigt, starrten auf den Boden oder aus dem Fenster oder waren in ein angeregtes Geplänkel vertieft. Sie ließ Ihren Blick vorsichtig schweifen.

Eine Mutter mit quengelnden Kindern, eine Gruppe Jugendlicher, die auch zu spät kamen wie Sie bzw. gar nicht vorhatten zur Schule zu gehen, sondern eher wie in Shoppinglaune aussahen, ein älterer Mann, der Zeitung las. Plötzlich sah Sie in die braunen Augen eines älteren Afroamerikaners, die aufmerksam auf Sie gerichtet waren. Sie erschrak und wandte sofort Ihren Blick ab, starrte auf Ihren Rock. Noch immer fühlte Sie den Blick des Anderen auf sich gerichtet. Aber es fühlte sich nicht abschätzig an, im Gegenteil. Die Blicke waren wie eine Liebkosung. Sie konnte selbst nicht glauben, was Sie da gerade dachte. Sie spürte wie Ihr Körper auf diese ungewohnt liebevolle Schwingung reagierte. Es kribbelte Ihr im Bauch und das Kribbeln erreichte bald schon Ihr Herz und ein wonniges Gefühl begann Ihren Körper zu durchströmen, breitete sich unaufhaltsam immer mehr aus und Sie fühlte wie Sie errötete. Der abrupte Stopp des Busses ließ Sie in die Realität zurückkehren und als Sie endlich den Mut fand hochzusehen, in die Richtung aus der die Blicke dieses Fremden gekommen waren, fand Sie den Sitzplatz verlassen vor. Verzweifelt schaute Sie sich um, konnte ihn aber nirgends mehr entdecken.

Der Tag zog wie im Traum an Ihr vorbei. Frau Laubenpiepers Standpauke klang wie Lichtjahre entfernt und konnte dieses Lichtschild um Sie herum nicht durchbrechen. Wie ein Roboter erledigte Sie Ihre Arbeit, Beleg für Beleg, im Automatikmodus. Erst kurz vor Feierabend erwachte Sie aus dieser Trance, schaltete die Geräte ab und verließ Ihr kleines Büro in der Bank. Sie musste noch so viel tun, doch Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer wieder dachte Sie an diesen exotischen Fremden. Sie erinnerte sich auch erst jetzt an immer mehr Einzelheiten. Er hatte auch einen Anzug getragen, beige-braun-grün-kariert und ein schlammgrünes Hemd mit beiger Krawatte. Sie schmunzelte, denn ein Weißer hätte darin wohl ausgesehen wie im Clownskostüm. Diesen Fremden mit seiner schönen braunen Hautfarbe und den krausen Haaren, die an den Schläfen schon grau wurden, hatte es jedoch sehr gut gekleidet. Sie fand es unglaublich, was Sie bei diesem kurzen und für Sie, ob der Entdeckung, doch peinlichen Blickwechsels alles wahrgenommen hatte. Sie sah ihn im Geiste wieder vor sich – lächelnd. Ein schönes, offenes und gütiges Lächeln. Dabei hatten sich viele Lachfältchen um seine Augen gebildet. Abwesend setzte sie sich vor dem Bankgebäude auf eine Parkbank um diesen schönen Gedanken nachzuhängen. Alles um sie her war so unwichtig geworden und schien im Licht dieses Urgefühls zu verblassen. Das laute Hupen eines Autos riss Sie grob aus Ihren Gedanken. Erst jetzt merkte Sie, dass es schon zu dämmern anfing. Wie lange mochte Sie wohl hier gesessen haben. Sie fror und bekam Hunger, denn, und das wurde ihr erst jetzt klar, seit heute Morgen hatte Sie den ganzen Tag nichts gegessen. Ob gute Gefühle einen wohl satt machen konnten ? Erstaunt über diese Tatsache stand Sie auf und machte sich auf den Weg in den Supermarkt.


Als Sie aber vor dem Eingang des Supermarkts stand, wo Sie sonst immer einkaufte, bemerkte Sie 2 Läden daneben zum ersten Mal einen kleineren Laden, der Obst, Gemüse und auch andere Dinge anbot. Die Auslage mutete exotisch an und Sie entschloss sich spontan den Laden zu betreten, merkte dann aber, dass er bereits geschlossen hatte. Und so holte Sie sich lediglich im Supermarkt frische Brötchen, ein Glas Marmelade und eine Dosensuppe und machte sich, die Anstrengung des Tages nun voll spürend, auf den den Weg nach Hause. Aufgrund Ihrer Versunkenheit in wieder aufwallende weitere, schöne Gedanken, war Sie schnell zuhause. Es kam Ihr vor wie ein Zauber – eine Reise in der Geschwindigkeit eines Wimpernschlags. Im Haus war es still, als Sie durch das dunkle Treppenhaus in den 2. Stock hoch zu Ihrer Wohnung stieg. „Endlich zuhause“ sagte Sie zu sich selbst erleichtert und ließ alles, Taschen, Jacke, Schuhe, kaum drinnen, einfach von sich fallen. Hier fühlte Sie sich sicher.

Aber es hatte sich was verändert. Ihr Blick war nun klarer und wie zum ersten Mal betrachtete Sie Ihr privates Reich, dass Sie schon über 10 Jahre bewohnte. Die Tapeten waren verblichen, die Möbel abgewohnt, Stoffe verschlissen und Sie konnte nur wenig Einladendes erblicken. Ihre Topfpflanzen ließen auch alles hängen und wirkten mehr tot wie lebendig. Warum war Ihr das früher nie aufgefallen? Sie fühlte sich, als hätte Sie die letzten Jahre in Trance verbracht, in einem immerwährenden Schlaf, aus dem Sie nun dieser Fremde wachgeküsst bzw. wachgeblickt hatte. Sie lächelte ob dieses Wortspiels und schon sah Sie ihn wieder vor sich, dieses bezaubernd, gütige Lächeln auf seinem Gesicht. Ihr Magen unterbrach laut knurrend wie ein Wolf Ihre Gedankengänge, um Sie an ein normales Grundbedürfnis zu erinnern. So ging Sie zu Ihrer kleinen offenen Küchenzeile im Wohnzimmer und machte sich einen heißen Pfefferminztee und ein Marmeladenbrötchen. Dann zog Sie gleich Ihren Schlafanzug an mit vielen, roten Herzchen und machte es sich, halb in eine Decke gewickelt, mit Ihrem Mahl auf dem Sofa bequem.
Sie lächelte ob einer Erkenntnis, die Sie plötzlich überfiel, als Sie in die weichen Polster Ihres Sofas gesunken war. Vielleicht war Ihr Sofa alt, aber es gab Ihr so viel Geborgenheit, wie es nur ging. War auf seine Art besonders – nicht schön, aber bequem. Ihr Sofa war wie Sie. Man musste es kennen lernen um sich damit wohl zu fühlen und das Besondere dahinter zu erkennen. Was für ein Gedanke.

Sie stand noch einmal auf und suchte nach einer Kerze, die Sie zu Ihrem Erstaunen fand, und zündete Sie an. Dann löschte Sie das Licht und starrte in die ruhige Kerzenflamme. Es war so gemütlich und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Sie sich so geborgen und wohl. Ihre Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit, in Ihre Kindheit. Sie war das einzige Kind Ihrer Eltern gewesen. Immer schon etwas dicklich und schwerfällig. Ihre Mutter hatte Ihr immer schmerzlich zu verstehen gegeben, dass Sie nicht gewollt war und Sie Ihre Figur verdorben hatte. Sie spürte einen Stich im Herzen und sofort war das Gesicht Ihres Vaters da.
Er hatte Sie für zwei Menschen geliebt und immer zum Lachen gebracht. Was aber noch viel wichtiger war, sie hatten sich ohne große Worte verstanden. Wenn Ihr Herz voll Kummer war, hatte er immer zu Ihr gesagt „Corinna, das Leben ist wie eine Wundertüte, man weiß nie was man bekommt. Kopf hoch, mein Mädelchen !“ Das hatte immer gut getan, nahm es Ihr doch das Gefühl, dass es das Schicksal stetig ungut mit Ihr meinte. Warum musste Sie gerade jetzt an Ihn denken ? Das hatte Sie schon seit Jahren nicht getan. Es war als hätte sich ein Liebesfaden, der längst gesponnen war, durch den Liebesfunken dieser besonderen Begegnung, aktiviert, und es tat so gut an Ihn zu denken. Wie eine Decke spürte Sie sich in seine Liebe eingehüllt und Sie genoss das Gefühl, weinte aber auch um das verlorene Glück, denn Ihre Eltern waren von einer Auslandsreise nicht mehr zurückgekehrt. Das Letzte was Sie gehört hatte, war, dass Ihr Ausflugsauto verlassen aufgefunden worden war. Ihre Eltern aber blieben spurlos verschwunden. Nie wieder hörte Sie etwas von Ihnen und so musste Sie das Schlimmste annehmen, obwohl da immer noch ein Funken Hoffnung in Ihr war, den Sie sich nicht erklären konnte.

Sie schickte Ihren beiden Eltern liebe Gedanken und löschte das Kerzenlicht. Dann saß Sie noch kurz im Dunkeln und beobachtete, wie sich die Schatten bei jedem vorbeifahrenden Auto veränderten, bis Sie müde wurde und sich entschied ins Bett zu gehen. Dort fiel Sie augenblicklich in einen traumlosen, tiefen Schlaf, aus dem Sie am darauf folgenden Tag gut erholt und von selbst erwachte, was ungewöhnlich war.

Sie streckte und rekelte sich wie eine Katze, stand dann auf und gönnte sich zum ersten Mal ein ordentliches Frühstück. Sie fühlte sich beschwingt und glücklich. Verließ in aller Ruhe das Haus, ohne dass Ihr Jemand begegnete. Der Tag ging ruhig weiter. Sogar Frau Laubenpieper, Ihre Bankchefin, schien gute Laune zu haben und ließ Sie arbeiten ohne Sie zu behelligen. Der Tag verging wie im Fluge und Corinna verließ pünktlich die Bank, denn heute hatte Sie ein Ziel – den kleinen Laden mit der exotischen Auslage. Natürlich war mehrmals täglich auch das gütige Lächeln des exotischen Fremden durch Ihre Gedanken gegeistert und hatte in Ihr ein beschwingtes Glück hinterlassen. Sie hoffte sehr den geheimnisvollen Fremden bald wieder zu sehen.

Sie betrat den Laden- das hölzerne Glockenspiel über der Tür klang warm und willkommen heißend. Dann stand Sie im Laden und sah sich erst einmal in Ruhe um. Hölzerne Regale an den Wänden und in der Mitte auf einem Holztisch alle möglichen exotischen Früchte, die liebevoll hindekoriert waren. Sogar kleine Rasseln, Trommeln, Masken sowie Kerzen, Bücher und vieles mehr fand sich hier. Sie fühlte sich seltsam aufgehoben und wohl hier. Alles wirkte so anheimelnd und doch war es so bunt gemischt in einem liebevollen Chaos, vergleichbar einem riesigen Blumenstrauß mit Blumen und Kräutern. Es duftete auch nach allen möglichen Gewürzen. Hätte man die Augen geschlossen, hätte man denken können auf einem Markt weit weg im Ausland zu sein. Sie gab diesem Impuls nach und schloss tief einatmend die Augen. Da vernahm Sie eine freundliche Frauenstimme in Ihrer Nähe und als Sie die Augen öffnete sah Sie eine etwa 20-jährige afroamerikanische Verkäuferin vor sich. Sie trug ein fremdländisches Gewand und hatte viele kleine geflochtene Zöpfe, die Sie im Nacken zusammengebunden hatte und ein freundliches, offenes Lächeln umspielte Ihren Mund. Sie glaubte dieses Gesicht schon mal gesehen zu haben. Es war ihr irgendwie vertraut. Die junge Frau begrüßte sie mit den Worten „Jambo, wie kann ich Ihnen helfen“ und auf Anfrage zeigte Sie Corinna freudig einige kostbare Nussöle und Gewürze. Sie gab ihr auch Kochtipps, wie diese exotischen Geschmacksakzente auch der deutschen Küche eine besondere Note geben könnten. Dann ließ die Verkäuferin Sie allein, aber nicht ohne ihr noch ein freundliches Lächeln zuzuwerfen, als Sie in einem angrenzenden Raum, hinter einem Holzperlenvorhang verschwand.

Corinna wusste nicht warum, aber plötzlich kam Ihr wieder das Gesicht des Fremden in den Sinn und Sie fragte sich, ob es mit Ihm auch so wäre, ob er auch Ihrem Leben eine besondere Note verleihen könnte, eine Wendung, ein neues Glück. Doch dann schüttelte Sie den Kopf. Das war absurd. Sie hatten doch nur einen kurzen Blick und ein Lächeln geteilt, ansonsten wusste Sie gar nichts über ihn, ob er Familie hatte, was er machte. Und dennoch wusste Sie tief in Ihrem Inneren, dass auch dieser Fremde diesen Augenblick als besonders einordnen würde. Seltsam war das, unerklärlich. „Corinna, hör auf zu träumen“ rief Sie sich selbst zur Ordnung, kaufte das gute Nussöl, eine Gewürzmischung und auch noch eine Papaya ein, bezahlte rasch und verließ den Laden. Die hölzernen Klänge verabschiedeten Sie und Sie wusste, dass Sie bald wiederkommen würde. Schon der Gedanke daran ließ Sie lächeln.

Am Wochenende stand Sie früh auf, frühstückte gemütlich. Es gab erstmalig Papaya. Sie roch ausgiebig mit geschlossenen Augen an der Frucht und ließ sich die süßen Stücke dann genüsslich schmecken. Danach machte Sie einen Spaziergang und nach Ihrer Rückkehr nahm Sie bei Kerzenschein ein Bad. So schön hatte Sie es sich früher nie gemacht. Sie fühlte sich erfüllt von Glück, Freude und einer Geborgenheit, die Sie nicht erklären konnte. So verging das Wochenende entspannt und am Montag startete Sie genauso früh und ausgeruht in die Woche und Ihre Arbeit lief Ihr leicht von der Hand. Die Tage vergingen und Ihr war es mittlerweile zur Gewohnheit geworden, jeden Abend auf einen Sprung in dem kleinen gemütlichen Laden vorbeizuschauen und einzukaufen. Sie hatte mittlerweile nette Gespräche mit der jungen Afroamerikanerin, die, wie Sie bald wusste „Salome“ hieß. Ihr ungezwungener Umgang miteinander ließ Sie schnell zum „Du“ übergehen, was für die scheue und zurückhaltende Corinna sehr ungewöhnlich war. Aber es machte Freude einen Menschen zu haben, mit dem man reden konnte und die Einsamkeit vertrieb. Oft hörten Sie die für Afrika so typische Kukuyu-Musik gemeinsam an. Nur noch hin und wieder dachte sie dabei sehnsuchtsvoll an Ihren Fremden und obwohl schon einige Zeit vergangen war, verblasste sein liebes Lächeln in Ihrer Erinnerung nicht.

Gerade vernahm Sie beim Eintreten wieder das gewohnte hölzern, warme Klingen des Glockenspiels über der Eingangstür, das für Sie zur Melodie von Gemütlichkeit und Feierabend geworden war. Salome schien heute sehr beschäftigt zu sein, denn es waren auch mehrere andere Kunden im Laden. Corinna wurde von der hektischen Betriebsamkeit ergriffen und beeilte sich nun auch schnell Ihren kleinen Einkauf zu erledigen. Immer wenn Sie in Hektik geriet schaute Sie nicht mehr richtig auf, wollte nur noch rasch eine wohlschmeckende Papaya angeln. Als Sie sich eine Papaya greifen wollte lag plötzlich eine dunkle Hand unter Ihrer und als Sie hochsah, schauten Sie bereits vertraute, dunkelbraune Augen neugierig und freudig an. Und Sie schaute neugierig und freudig zurück. In diesem Zauber verharrten sie eine kurze Zeit, bis er Ihr, ein warm klingendes Lachen, die Papaya freigab und diese ihr gab. Corinna nahm sie entgegen und konnte nicht mehr aufhören zu lächeln. Die anderen Kunden waren schnell gegangen, da es sich wohl um eine gemeinsame Gruppe Leute gehandelt hatte und nun trat auch Salome dazu. Auch sie lachte und sprach zu Corinnas Überraschung den vor Ihr stehenden Mann mit Baba an, was wohl Vater hieß. Dieser ließ jedoch seine Augen nicht von Ihr und stellte sich nun der verblüfften Corinna als Zulu Mandueke vor. Der warme Klang seiner Stimme ließ Sie erschauern und brachte eine innere Glocke in ihr zum Klingen. Nun stellte auch sie sich vor. Dann wandte er sich an Salome und sagte „das ist die Frau von der ich immer erzählt habe“. Salome lachte daraufhin laut und herzlich und sagte zu Corinna „Baba hat nur noch von Dir gesprochen und ich dachte, er hätte sich alles nur eingebildet.“ Das ließ Corinnas Herz ein paar unkontrollierte Holperschläge tun. Er hatte Sie also auch vermisst und die Begegnung genauso tief empfunden wie Sie. Zwischen die beiden legte sich eine fiebrige Spannung und Aufregung. Als er Sie dann fragte, ob Sie nicht gleich mit Ihm essen gehen wolle, konnte Sie Ihr „Ja“ nur noch hauchen. Zulu führte Sie in seinem speziell karierten Anzug, der wohl sein Einziger war, in ein marokkanisches Lokal aus. Er war so zuvorkommend und alles um Sie her so romantisch und wunderbar, dass Corinna sich einmal heimlich unter dem Tisch zwicken musste um sich zu versichern, dass alles wirklich geschah. Und eines war ihr schnell klar: Sie hörte ihn so gerne reden und sein Lächeln voll Güte und Freude drang tief in Ihr Herz und ließ alle Wunden der Vergangenheit heilen. Und auch seine Einsamkeit hatte nun ein Ende gefunden, denn seine Frau hatte er vor einigen Jahren verloren. Plötzlich war es Ihr wichtig zuzuhören, denn alles was er sprach war voll Weisheit und Poesie und da fiel Ihr ein afrikanisches Sprichwort ein: Worte sind der Duft des Herzens.


Ja und er duftete nach Zukunft, nach einer Wärme, die Sie so lange gesucht hatte, nach der Verheißung einer Zweisamkeit, die Sie nicht mehr für möglich gehalten hatte. Immer wieder versanken Ihre Blicke ineinander und er machte Ihr solch schöne, wahre Komplimente, die in Ihrer Ehrlichkeit so eine Tiefe und Geborgenheit hatten, wie sie es nie zuvor gehört hatte. Sie fühlte, wie Sie sich verwandelte im Schein seiner Liebe. Wie aus der Raupe ein Schmetterling wurde, der seine Farben leuchten ließ. Jetzt konnte Sie sich an jeder Facette Ihrer Persönlichkeit erfreuen. Am Ende dieses Abends, im Kerzenschein, hielten Sie sich bei den Händen und waren einfach nur glücklich. Was Sie füreinander empfanden brauchte keine Worte mehr. Das Schicksal hatte Sie zusammengeführt und Beide wussten still, dass Sie sich nie mehr verlieren würden.

(Text von Susanne Waldbrunner)
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