Was soll der Weihnachtsbaum?

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Stiekel
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Was soll der Weihnachtsbaum?

Beitrag von Stiekel »

Seit einigen Jahren fällt es mir sehr schwer, den Baum zu schmücken. Ich habe die Kinder vor Augen, die nicht mehr sind und der Schmerz zerreißt mir das Herz. Seit etwa drei Jahren tue ich es mir nicht mehr an. Die Tanne wird aus dem Wohnzimmer verbannt. Jesus hatte schließlich auch keinen Baum. Wichtig ist doch, dass er geboren wurde, um die Menschheit zu retten. Deshalb feiern wir das Christfest. Den Geburtstag von unserem Heiland. Da braucht es kein Brimborium mehr. Das stimmt nicht ganz. Ich habe Adventsgestecke und auch Kerzen sind mir wichtig in dieser Zeit. Während Corona sehen wir uns den Gottesdienst online an, singen die Lieder mit und danach wird gegessen, wir zwei alleine. Ich bestücke den Adventskranz mit frischen Kerzen und mein Mann liest die Weihnachtsgeschichte, die ich der Familie per Whatsapp zukommen lasse.

Außer einem bunten Weihnachtsteller mit Orangen, Feigen, Nüssen und Süßigkeiten gibt es keine Geschenke. Damit warten wir bis zum zweiten Feiertag, wenn die Tochter und die Enkel kommen. Die Schokoladenkugeln in meiner Hand versetzen mich Jahrzehnte zurück. Damit wurde der Weihnachtsbaum unter anderem geschmückt, als meine drei ersten Kinder noch klein waren. Mitte Januar waren dann alle dabei, den Baum zu plündern, so war es der Brauch. Doch in einem Jahr gab es für die Mädchen eine herbe Enttäuschung. Der große Bruder hatte heimlich, still und leise, das Stanniolpapier vorsichtig von unten geöffnet und den Inhalt alleine verputzt. Da war das Gezeter groß und zwei Heulbojen brüllten um die Wette. Damit es nicht auffiel, wurden die Verpackungen von Holger wieder in den Originalzustand versetzt. Ich frage mich heute noch, wie der kleine Kerl das geschafft hat. Keiner von uns anderen hat es vorher bemerkt.

Ich habe Linda vor Augen als sie mit etwa 8 Jahren eine Silberkette mit einem Kreuz bekam. Sie saß auf dem Wohnzimmerfußboden, hockte zwischen Geschenkpapier und Kartons, dabei weinte sie herzzerreißend. Auf meine Frage, was ihr den fehlt, meinte sie: „Ich freue mich ja soooo sehr über meine Kette.“

Jan bekam mit 5 Jahren sein erstes und letztes Fernlenkauto. Ein Laster, der Crashgeräusche machte. Er ließ ihn an Heiligabend so lange gegen die Wand rasen, bis der Laster den Geist aufgab. Er war im ersten oder zweiten Schuljahr, ich weiß nicht mehr so genau, da kam der Weihnachtsmann zur Weihnachtsfeier in die Klasse. Er hatte ein dickes Buch und las Streiche daraus vor, die mein kleiner Sohn gemacht haben sollte. Das beeindruckte den kleinen Kerl sehr, aber er hatte seine Zweifel, ob der gute Mann da vorn auch echt ist. Schnurstracks baute er sich vor ihm auf, und forderte ihn auf, sich mal umzudrehen. Das tat der dann auch. Der Dreikäsehoch untersuchte den Nacken und die Ohren, um dann triumphierend zu verkünden: „Der Weihnachtsmann ist echt, er hat kein Gummiband im Nacken!“

Drei meiner 4 Kinder sind nur noch in der Erinnerung lebendig. Frohe Weihnachten, meine Lieben.

© Sabine Brauer
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gerhard
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Re: Was soll der Weihnachtsbaum?

Beitrag von gerhard »

Liebe Sabine, ich bin ein schlechter Schläfer,
daher mein "Kommentar" zu diesem Text um 4 Uhr morgens:

Du hast, versteh ich das recht, drei von deinen vier Kindern nicht mehr?
Ich bin jetzt grad im Internet auf die Lebensgeschichte des
US-Präsidenten Joe Biden gegangen - der ein überzeugter katholischer Christ (und darum z.B.
überzeugter Gegner der Todesstrafe) ist - und den das Schicksal seiner Familie "gestärkt" hat:
vor allem, was die(seine) Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie betrifft.

1972 starben seine erste Frau und eine damals 1jährige Tochter bei einem Verkehrsunfall - DAMALS überlebten
zwei Söhne schwerverletzt.

Aber 2015 starb sein Sohn Joseph/"Beau" an einem Gehirntumor(!) - ihm hat er ein berührendes und sehr persönliches
Buch: "Promise me Dad"("Versprich es mir")gewidmet.

Mich hat auch immer schon das Schicksal der Schauspielerin Mariska Hargitay berührt:
Die " verdankt" ihren ungewöhnlichen Namen (und die Tatsache, dass sie außer Englisch und Spanisch u.a.Ungarisch spricht)
ihrem Vater, einem ungarischen Bodybuilder, der auch mal "Mr.Universe" war.

Ihre Mutter war mal sehr bekannt - es war die Schauspielerin Jane Mansfield.
Die starb 1967 bei einem Autounfall: im Fond des Autos sassen drei kleine Kinder: die 3jährige Mariska - und zwei Brüder von ihr.
Die drei Kinder überlebten den Unfall!

Die Schauspielerin bekam viele Auszeichnungen für ihre Darstellung einer Polizeikommissarin
namens Olivia Benson in der TV-Serie "Law and Order. Special Victim Unit".

Da geht`s um eine Spezialeinheit der Polizei, die sich gezielt für Opfer von Sexualverbrechen einsetzt:
In Folgen dieser Serie hab ich schon "alles mögliche" gesehen, von Opfern von Frauenhandel über einen
Jungen, der seine Schwester vergewaltigte, bis zu einer jungen Transgender-Frau(also im "falschen Körper" zur Welt gekommen),
die in ein Männer(!)gefängnis kommt - und dort auf schwerste misshandelt und schwer verletzt wird!

Die Rollenfigur der Schauspielerin, also Detective Olivia Benson, setzt sich deshalb sehr für Opfer von Sexualverbrechen
ein, weil ihre Mutter vergewaltigt worden ist - die Polizeibeamtin "entstand" durch diese Vergewaltigung.(Ihre
Arbeit als Polizeikommissarin betreibt Olivia Benson so intensiv, dass sie auch mal schon eine "Auszeit" - und eine
Psychotherapie! - braucht!)

Als Person engagiert sich Mariska Hargitay ganz besonders für mehrere Organisationen, die traumatisierte Frauen,
die vergewaltigt wurden, unterstützen und ihnen helfen.

Also, da ist diese Frau, die nie das 3jährige Mädchen, das den Tod ihrer Mama am Steuer "überlebte", vergessen wird
- und der es heute so wichtig ist, so ganz besonders grad Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, zu helfen.

Ich glaube, dass man durchaus sagen kann, dass Frau Hargitay ihre Empathie und ihr Engagement ihrer eigenen
traumatischen und traumatisierenden Erfahrung verdankt - auch da ein "Fall" von Mitgefühl und innerer Kraft,
die aus der Erfahrung von Leid gewachsen ist.

Es ist ganz sicher grad zu Weihnachten wichtig, auf "Dinge" wie Leid nicht zu vergessen: Immerhin kam ja Jesus in einem
Stall zur Welt, "weil kein Platz in der Herberge war", seine Mutter und sein Ziehvater mußten dann mit dem kleinen
Sohn fliehen("Flüchtlingsfamilie"). Und aus dem "Flüchtlingskind", das im Stall zur Welt gekommen war, wurde
der Mann, der uns zur aktiven Nächstenliebe aufgerufen hat.

In einem Lied in dem Kinderfilm "Muppets-Weihnachtsgeschichte" heisst es: "Dort,wo du Liebe findest,
ist der Geist der Weihnacht!"
Und in sehr vielen Fällen wächst grad die Liebe aus Leiderfahrung!

Ich selbst werde nie meine Mutter vergessen, die von meinem Vater sehr schlecht behandelt wurde - und die letzten
12 Jahre ihres Lebens die durch seinen Tod gewonnene Freiheit dazu nutzte, in einem Chor zu singen, in einem
Talentförderungsclub mitzuwirken - und sich, vor allem, als ehrenamtliche Reisebetreuerin, um alte Menschen,
die im Rahmen des "Pensionistenverbandes" in Europa und in der Welt rumreisten, zu kümmern:

Als bei einer Reise ins Trentino eine Frau stürzte, ging meine Mutter mit der Frau so oft in ein örtliches Krankenhaus -
bis die Dame ein paar sehr gute Krücken (aus Metall!)bekommen hatte!

Und "auch" wenn meine Mutter schon seit 2002 im Himmel ist, hoffe ich, dass ihr "Geist" "nachwirkt"!

Mein älterer Bruder, der mein Bewusstsein für Frieden und Menschenrechte "öffnete" und ein leidenschaftlicher
Lehrer war, der für "seine Schüler" alles tat, starb 2013 (schwere Diabetes) an Multi-Organversagen.
Aber alle, die ihm viel verdank(t)en, werden den "Geist", den ER hinterlassen hat, nie vergessen!

Ja, als Resümee: Es geht wirklich nicht um den Weihnachtsbaum und schon gar nicht um Luxusgeschenke,
sondern um den Geist der Liebe - und wie oft diese aus der Erfahrung von Leid wächst!

Nochmals, liebe Sabine, Gesegnete Weihnacht!
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Re: Was soll der Weihnachtsbaum?

Beitrag von Stiekel »

Ja, so ist es. Zwei Kinder starben innerhalb eines Jahres, Juli 2011 und Juni 2012, ganz unerwartet. Sie waren 33 und 26 Jahre alt. Mein ältester Sohn starb im Oktober letzten Jahres im Alter von 46 Jahren. Dir danke ich für die Anteilnahme.

Liebe Grüße und alles Gute für das Jahr 2022
wünscht dir Sabine
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